Goettin in Gummistiefeln
reiße ich es aus meiner Rocktasche.
Die ID verrät mir, dass der Anrufer Guy ist. Ich hole tief Luft und nehme den Anruf an.
»Hallo, Guy?« Ich versuche selbstbewusst zu klingen, doch was herauskommt, ist ein verängstigtes Piepsen.
»Samantha? Bist du das?« Guy klingt gehetzt. »Wo zum Teufel steckst du? Warum bist du nicht hier? Hast du meine E-Mails nicht gekriegt?«
»Ich habe meinen BlackBerry nicht hier«, antworte ich erschrocken. »Warum hast du nicht angerufen?«
»Ich hab‘s versucht! Aber du bist nicht rangegangen. Dann musste ich in ein paar Meetings, aber ich habe dir den ganzen Vormittag lang E-Mails geschickt! Samantha, wo um alles in der Welt, bist du? Du solltest hier im Büro sein! Und dich nicht irgendwo verstecken, verdammt noch mal!«
Ein eisiger Schrecken packt mich. Verstecken?
»Aber ... aber Arnold hat gesagt, ich soll nicht kommen! Er hat gesagt, das wäre das Beste! Er hat gesagt, ich soll bleiben, wo ich bin, und er würde sehen, was er für mich tun kann ...«
»Hast du auch nur eine blasse Ahnung, wie das aussieht?«, fährt mir Guy über den Mund. »Zuerst verlierst du die Nerven, dann verschwindest du einfach von der Bildfläche. Die Leute fangen schon an zu glauben, du wärst instabil, du hättest einen Nervenzusammenbruch ... Man erzählt sich, du wärst ins Ausland geflüchtet ...«
Die Wahrheit trifft mich wie ein Keulenschlag. Panik keimt in mir auf. Ich kann nicht fassen, wie dumm ich mich verhalten habe. Wie blöd ich gewesen bin. Was sitze ich noch hier in dieser Küche herum, meilenweit von London entfernt?
»Sage ihnen, ich komme sofort«, stottere ich. »Sag Ketterman, ich bin sofort da ... Ich steige in den nächsten Zug ...«
»Das könnte schon zu spät sein.« Guy kommt es nur zögernd über die Lippen. »Samantha, es sind alle möglichen Geschichten über dich im Umlauf.«
»Geschichten?« Mein Herz schlägt so heftig, dass ich kaum sprechen kann. »Was für ... Geschichten?«
Ich kann nicht mehr. Ich habe das Gefühl, als sei ich mit dem Auto von der Straße abgekommen und könnte jetzt nicht mehr anhalten. Ich dachte, ich hätte alles unter Kontrolle. Ich dachte, ich täte das Richtige, wenn ich Arnold für mich reden ließe.
»Nun, es heißt, du wärst unzuverlässig«, gesteht Guy schließlich. »Es heißt, das wäre nicht das erste Mal. Du hättest vorher schon Fehler gemacht.«
»Fehler?« Ich springe auf und zische das Wort, als ob es mich verbrannt hätte. »Wer behauptet das? Ich habe noch nie Fehler gemacht! Was soll das heißen?«
»Ich weiß nicht. Ich war nicht in dem Meeting. Samantha -überleg mal ganz genau. Hast du sonst noch irgendwelche Fehler gemacht?«
Überleg ganz genau ?
Fassungslos starre ich auf das Handy. Er glaubt mir nicht?
»Ich habe nie Fehler gemacht«, sage ich, vergebens um Beherrschung bemüht. »Noch nie! Ich bin eine gute Rechtsanwältin! Eine gute Rechtsanwältin!« Zutiefst beschämt stelle ich fest, dass mir die Tränen übers Gesicht laufen. »Ich bin nicht >instabil Angespannte Stille.
Es schwebt zwischen uns, unausgesprochen. Ich habe einen Fehler gemacht.
»Guy, ich weiß nicht, wie ich die Glazerbrooks-Sache übersehen konnte.« Es sprudelt jetzt nur so aus mir heraus. »Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Es ist mir ein Rätsel. Ich weiß, dass mein Schreibtisch nicht gerade der ordentlichste ist, aber ich habe mein eigenes System! So was übersehe ich doch nicht, verdammt noch mal. Ich -«
»Samantha, jetzt beruhige dich.«
»Wie kann ich mich beruhigen?« Ich kreische fast. »Das ist mein Leben. Mein Leben. Ich habe sonst nichts!« Wütend wische ich mir die Tränen ab. »Ich werde nicht klein beigeben. Ich komme. Jetzt sofort.«
Ich lege auf und gerate völlig in Panik. Ich muss zurück. Ich hätte sofort zurückfahren sollen, anstatt hier meine Zeit zu verplempern. Ich weiß nicht, wann der nächste Zug nach London geht, aber das ist mir schnurzegal. Ich muss los.
Hektisch schnappe ich mir den nächstbesten Zettel und kritzle darauf:
Sehr geehrte Mrs. Geiger,
zu meinem Bedauern muss ich die Stelle als Haushälterin kündigen. Auch wenn ich meine Zeit bei Ihnen sehr genossen habe...
Jetzt komm schon. Du hast keine Zeit für diesen Mist. Du musst los. Ich lege den Zettel auf die Anrichte und gehe zur Tür. Dann bleibe ich doch noch einmal stehen.
Ich kann den Brief nicht so lassen, einfach mitten im Satz aufhören. Es würde mich für den Rest des
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