Goettin in Gummistiefeln
ausbrechen und nie wieder mit Weinen aufhören könnte.
Zerstreut greife ich mir den nächstbesten Lappen und beginne ziellos den Tisch abzuwischen. Mein Blick fällt auf den Zettel, den ich für die Geigers hingelegt hatte. Ich nehme ihn und zerknülle ihn. Ab in den Papierkorb. Später. Alles später. Im Moment kann ich ja nicht mal richtig sprechen, geschweige denn eine vernünftige Kündigungsrede halten.
»Da sind Sie!« Trish wackelt auf ihren hochhackigen Sandalen herein, in den Armen drei zum Platzen volle Einkaufstüten. »Samantha!« Sie bleibt bei meinem Anblick wie angewurzelt stehen. »Geht‘s Ihnen nicht gut? Haben Sie wieder Kopfschmerzen?«
»Ich ... es geht schon.« Meine Stimme zittert ein wenig. »Danke.«
»Sie sehen schrecklich aus! Liebe Güte! Kommen Sie, nehmen Sie noch ein paar Tabletten!«
»Das ist doch nicht ...«
»Na los doch! Ich werde auch ein paar nehmen, warum auch nicht?«, fügt sie fröhlich hinzu. »Und jetzt setzen Sie sich. Jetzt mache ich Ihnen erst mal eine Tasse Tee!«
Sie stellt mit einem Plumps die Tüten ab, setzt den Kessel auf und wühlt in der Tablettenschublade herum.
»Sie mochten die grünen, nicht wahr?«
»Ah, ein Aspirin genügt, danke«, versichere ich rasch.
»Sind Sie sicher?« Sie füllt ein Glas Wasser für mich und reicht es mir mit ein paar Aspirintabletten. »Und jetzt bleiben Sie einfach ruhig sitzen. Entspannen Sie sich. Denken Sie nicht mal an was anderes! Ah, bis es Zeit wird, das Abendessen zuzubereiten, jedenfalls«, fügt sie schnell hinzu.
»Sie sind sehr nett«, stammle ich.
Und in diesem Moment wird mir klar, dass es stimmt. Trish ist sehr nett. Auf eine etwas verdrehte Weise zwar, aber doch.
»Hier, bitte schön.« Sie stellt mir eine Tasse Tee hin und mustert mich forschend. »Haben Sie vielleicht Heimweh?« Es klingt fast triumphierend, als habe sie des Rätsels Lösung gefunden. »Unser Mädchen von den Philippinen wurde manchmal ganz traurig, aber ich habe immer zu ihr gesagt: >Kopf hoch, Manuela!< Bis ich herausfand, dass sie Paula hieß. Komische Sache.«
»Ich habe kein Heimweh«, sage ich und nehme einen kräftigen Schluck Tee.
Meine Gedanken flattern wie eine Schar Schmetterlinge. Was soll ich bloß tun?
Heimfahren.
Aber in dieses Apartment zurückzugehen, wo Ketterman zwei Stockwerke über mir wohnt, ist ein gräßlicher Gedanke. Ich kann ihn nicht sehen. Ich kann nicht.
Ich könnte Guy anrufen. Bei ihm könnte ich erst mal unterschlüpfen. Er hat dieses Riesenhaus in Islington mit etlichen Gästezimmern. Ich habe schon mal dort übernachtet. Dann ... dann verkaufe ich meine Wohnung. Suche mir einen Job.
9
Aber was für einen?
»Das wird Sie aufmuntern«, reißt mich Trishs durchdringende Stimme aus den Gedanken. Mit kaum verhohlener Genugtuung tätschelt sie die Einkaufstüten. »Nach Ihrem geradezu verblüffenden Lunch ... bin ich einkaufen gegangen. Und ich habe eine Überraschung für Sie! Das wird Sie umhauen!«
»Umhauen?« Verwirrt blicke ich auf. Trish hat angefangen, die prallen Tüten auszupacken.
»Gänseleberpastete ... Kichererbsen ... Lammfleisch ...« Sie klatscht einen Schlegel auf den Tisch, der diesen erzittern lässt. Erwartungsvoll blickt sie mich an. Als sie meinen verständnislosen Gesichtsausdruck bemerkt, schnalzt sie ungehalten mit der Zunge.
»Zu-ta-ten! Ingredienzen! Fürs Abendessen! Sie kochen doch so schön! Um acht, wenn‘s recht ist?«
Das wird schon wieder.
Wenn ich mir das nur oft genug sage, glaube ich es irgendwann auch.
Ich weiß, ich müsste Guy anrufen. Aber immer, wenn ich das Handy herausnehme, verliere ich im letzten Moment den Mut. Es ist so demütigend. Ich weiß, er ist mein Freund; er ist der, mit dem ich mich in der Kanzlei am besten verstehe. Aber ich bin diejenige, die gefeuert wurde. Ich bin die, die sich schämen muss. Er nicht.
Schließlich setze ich mich auf und reibe mir mit beiden Händen übers Gesicht. Jetzt komm schon, du Feigling. Guy wird hören wollen, wie es dir geht. Er wird dir helfen. Ganz bestimmt. Ich nehme das Handy und wähle ihn über Kurzwahl an. Plötzlich höre ich Schritte, die sich mir über den Parkettboden der Eingangshalle nähern.
Trish.
Hastig klappe ich das Handy zu, lasse es in meiner Rocktasche verschwinden und greife nach einem großen Brokkoli.
»Na, wie kommen Sie voran?«, flötet Trish beim Hereinkommen.
Etwas überrascht nimmt sie zur Kenntnis, dass ich immer noch so dasitze, wie sie mich verlassen hat. »Alles in
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