Grace & Josephine - Eingeschneit (German Edition)
das Weihnachten nach ihrem 10. Geburtstag zurückdenken. Sie wusste noch genau, wie sie ein paar Tage zuvor mit ihrer Oma Olivia Shoppen gegangen und sie vor einem Schaufenster stehen geblieben war, in dem eine Schneekugel stand, in der ein großer geschmückter Weihnachtsbaum war, unter dem Geschenke lagen. Mit Händen und Nase klebte sie an der Scheibe und schaute zu, wie der Schnee automatisch in der Kugel umherflog, es war eine dieser ganz modernen Kugeln.
Ihre Oma ging hinter ihr in die Hocke und flüsterte ihr ins Ohr: „Ist das nicht eine traumhaft schöne Schneekugel, mein Liebes? Du musst jetzt ganz fest deine Augen schließen und sie dir von ganzem Herzen wünschen, und wer weiß, vielleicht legt der liebe Weihnachtsmann sie unter den Christbaum. Wäre das nicht wundervoll, meine kleine Jo?“
Es kam ihr vor, als ob es erst gestern war, als sie ihre Oma daraufhin mit ihren großen blauen Augen anschaute und zu ihr sagte: „Das wäre das wundervollste und größte Geschenk, aber ich glaube, dass dieser Wunsch niemals in Erfüllung gehen wird. Mädchen wie ich haben so etwas nicht verdient.“ Während Tränen in ihre Augen aufstiegen, schaute ihre Oma sie mit einem entsetzten Gesichtsausdruck an und traute ihren Ohren nicht. Sie nahm Jos kleines Gesicht in ihre Hände.
„Mädchen wie du? Ich weiß nicht, wer dir so etwas ins Ohr gesetzt hat, aber ich kann es mir schon denken. Hör mir jetzt genau zu, du bist ein ganz wundervolles Mädchen mit einem unglaublich großen Herzen. An dir könnte sich manch Erwachsener eine dicke Scheibe abschneiden. Ich möchte, dass du der Mensch bleibst, der du jetzt bist und dir von niemandem einreden lässt, dass du nicht gut bist. Versprich mir das, mein kleiner Sonnenschein.“
Kurz darauf stand Weihnachten vor der Tür und wie ihre Oma es vorhergesehen hatte, stand die Schneekugel unter dem Weihnachtsbaum. Doch die Freude dauerte nur kurz, denn keine vier Tage später verstarb ihre Oma und ihr kleines Herz war für immer gebrochen. Bis heute hatte sie diesen Verlust nicht verkraftet.
Plötzlich sackten ihr die Füße weg und sie fing heftig an zu weinen. Grace kam sofort auf sie zu, nahm sie in ihre Arme und streichelte ihr beruhigend über den Rücken.
„Hey, ich weiß nicht, was los ist, aber bitte weine nicht, meine liebe Jo.“
„Ich … ähm … musste … gerade … ähm ...“ Vor lauter Weinen konnte sie kaum Luft zum Reden holen.
„Beruhige dich erst mal und dann erzähl mir, was der Auslöser ist,“ sagte Grace, während sie mit ihren Pullover-Ärmel Jos Tränen wegwischte.
„Als du gerade die Schneekugel in deiner Hand drehtest, musste ich an einen besonderen Moment mit meiner Oma denken, und dann war es einfach um mich geschehen“, sagte sie und schnäuzte in ihr Taschentuch.
„Oh Jo, ich weiß, dass du den Verlust von ihr bis heute nicht verkraftet hast und auch wie du dich fühlst.“ Oh ja, zu gut wusste sie, wie Jo sich fühlte und was in ihr vorging. Aber das war jetzt erst mal nicht wichtig.
...
Als Jo sich und ihre Gefühle wieder im Griff hatte und sie mit dem Packen fertig waren, standen sie nun vor der großen Frage: Aufzug nehmen oder Teppen laufen?
Jo schaute Grace mit hochgezogenen Augenbrauen an: „Ich werde in dieses Ding nie wieder einsteigen, das habe ich dir gesagt. Ich habe nicht vor, den restlichen Tag in einem engen, stickigen Aufzug zu verbringen.“
„Wenn du nicht mit dem Aufzug fährst, dann fahre ich auch nicht. Wer weiß, bei unserem Glück stecke ich am Ende noch fest!“
Zum Glück hatte keine von beiden einen großen Koffer und sie schafften es so, ohne viel Anstrengung, recht zügig nach unten. Nachdem sie ihre Koffer verstaut und mit Gregory vereinbart hatten, sich erst heute Abend zu verabschieden – mit einem Glas Orangensaft, weil beide keinen Tropfen Alkohol tranken – machten sie sich Hand in Hand auf den Weg
Weitere Kostenlose Bücher