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Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral

Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral

Titel: Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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Vögelein, über den Winter oder für immer, so will ich für dich sorgen und dir ein warmes Nest geben.«
    Sie öffnete langsam ihre Handflächen; sie zitterte. Die Schwalbe tat einen ersten unsicheren Schritt, breitete ihre Flügel aus und ließ sich fallen, erhob sich im Sturz dicht über dem Schnee und strich davon.
    Ich sah ihr lange nach, bis sie in die Sonne fliegend ve r schwunden war. Ein Schluchzen brachte mich zurück. Rüesch weinte bitterlich, und ich streichelte ihr übers Haar, weil mir die Worte nicht über die Lippen kommen wollten. Sie stieß meine Hand ärgerlich zur Seite, sprang zum Quell und warf sich das kalte Wasser ins Gesicht. Ihre Augen glänzten jetzt merkwürdig entschlossen.
    »William«, sagte sie fest, »du weißt vom Verbot der Grauen Räte, dir Schneeschuhe zu geben, dich ihren G e brauch zu lehren oder dich auch nur einen Augenblick mit ihnen allein zu lassen!« Sie wartete meine Antwort nicht ab – ich hatte auch keine – sondern kniete vor mir nieder und begann mir ihre Schneeschuhe anzuschnallen. Sie machte es mit einer Sorgfalt und Umsicht, daß ich gar nicht hi n schauen mochte. »Heute abend bist du mir angetraut«, sprach sie weiter, ohne sich aufzurichten. »Ich nehme mir das Recht, meinem Mann –«
    Weiter kam sie nicht, ihr versagte die Stimme. Doch sie hatte ihr Vorhaben ausgeführt.
    Ich umarmte sie und zog sie zu mir hoch. »Rüesch«, sagte ich seufzend, »ich will dich nicht verlassen, ich liebe dich!«
    »William«, sie stand jetzt vor mir, und wir schauten uns in die Augen, »du weißt, daß ich dich liebe – und ich weiß, daß du mich verlassen wirst. Küß mich in den Mund!« Sie schlang ihre Hände um meinen Kopf und riß mich an sich. Wir küßten uns wie Ertrinkende, wohl wi s send, daß ein Aussetzen das Ende, den unwiderruflichen Abschied b e deuten würde. So biß sie mich erst zärtlich, langsam immer stärker – ohne loszulassen in die Zunge, bis ich den Schmerz nicht mehr ertrug und von ihr abließ.
    »Geh jetzt!« sagte sie. »Zeig mir, was Madulain dir be i gebracht hat!«
    Ich streckte meine Arme nach ihr aus, nicht nur, daß ich mich plötzlich so unsicher auf den Schneeschuhen fühlte, als stünde ich das erste Mal auf ihnen, ich wollte bei ihr bleiben, ich – »Mach deiner Lehrmeisterin keine Scha n de!« forderte mich Rüesch auf, als ging es nur um den er s ten Rutscher am Übungshang, nicht um unser Leben, uns e re Liebe –
    »Nein!« schrie ich in meinem Schmerz und geriet ins Gleiten; ich wollte mich hinwerfen, aber die Gewohnheit des routinierten Umgangs mit den Schneeschuhen war stärker, sie trugen mich aufrecht hinweg von meiner kle i nen Braut, die am Felsen stand und mir nachsah, regung s los, starr, wie versteinert.
    »Rüesch!« schrie ich. »Ich liebe dich!«
    Es hallte wider vom Berg, während die Figur dort oben immer kleiner wurde, bald nur noch ein Pünktchen im Schnee. Vor mir taten sich Schluchten und Steilhänge auf, ich stürzte mich brüllend in sie hinein, sie wild a n gehend wie einer, dem der Tod gleich war. Tränen ve r schleierten meinen Blick, der sausende Fahrtwind preßte mir den Atem aus der Brust, ich raste dem Unbekannten entgegen, dem Abenteuer, das sich wieder vor mir auftat, wie neue Klüfte und unberührte Hänge, der Schnee stäu b te, ich weinte und schrie – Freiheit!

IX
DIE FÄHRTE DES MÖNCHS

Ein heißes Bad
    Otranto, Herbst 1246
    Wie eine bissige Muräne, die ein Fischlein als Beute im Wasser erspäht hatte, glitt die Triëre aus dem Hafen von Otranto, um das Fischerboot aufzubringen. Doch bevor sich ihr Rammdorn in die Planken bohren konnte, hatte der Kapitän der Triëre den ›Roten Falken‹ wiedererkannt; vor zwei Jahren hatte er ihn, zusammen mit Sigbert, dem Ko m tur, nach Akkon zurückgeleitet. Er bot ihm höflich die Hand, als er ihn an Bord nahm.
    »Wir sind in Alarm versetzt; vom Papst bezahlte Verr ä ter haben versucht, den Kaiser umzubringen!« berichtete der Otranter empört. »Ihr Anschlag wurde vereitelt.«
    Die Fischer hievten den kranken Mönch in einem Netz hinüber auf das Deck der Triëre. Lorenz schüttelte sich in Krämpfen, was den Kapitän wenig störte.
    »Nun trachten die flüchtigen Frondeure, den Aufstand ins Land zu tragen. Jeder, der ihnen Transport, Unterkunft oder Nahrung gewährt, verfällt der gleichen Bestrafung wie sie. Schon mußten die Bewohner von Altavilla über die Klinge springen! Ob groß oder klein!«
    Laurence war mit ihrer Ziehtochter hinunter an

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