Gregor und die graue Prophezeiung
versuchte, mit fester Stimme zu sprechen. »Sie ist noch so klein.«
»Nach allem, was ich höre, hat sie mehr Schneid als ihralle zusammen«, sagte Ripred. »Natürlich zählt Mut nur, wenn man zählen kann. Ich nehme an, dass ihr anderen zählen könnt und gleich euren ganzen Mut zusammennehmen werdet.«
Die Ratte warf einen schnellen Blick auf Luxa, Mareth und Henry, die in sicherem Abstand blieben. Die Fledermäuse wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten; sie spreizten die Flügel und legten sie wieder an. »Na kommt schon, hat sonst keiner Hunger? Ich esse ungern allein. Da fühle ich mich so ungeliebt.«
»Ich habe sie nicht eingeweiht, Ripred«, sagte Vikus.
»Ganz offensichtlich«, sagte die Ratte. »Ganz offensichtlich ist meine Ankunft ein unverhofftes Vergnügen.« Mit einem widerwärtig schabenden Geräusch begann er den Rinderknochen zu bearbeiten.
»Ich stelle euch Ripred den Nager vor«, sagte Vikus zu den anderen. »Er wird sich als euer Führer der Suche anschließen.«
Die Versammelten hielten die Luft an. Es wurde mucksmäuschenstill. Niemand wagte auszuatmen. Gregor versuchte zu begreifen, was Vikus ihnen gerade seelenruhig verkündet hatte. Eine Ratte. Er gab sie in die Hand einer Ratte. Gregor wollte widersprechen, doch er brachte kein Wort heraus.
Schließlich sprach Luxa mit einer Stimme, die heiser war vor Hass. »Ganz sicher nicht. Wir reisen nicht mit Ratten.«
»›Die graue Prophezeiung‹ verlangt es, Luxa«, sagte Solovet. »Ein Nager dabei.«
»›Ein Nager dabei‹ kann alles Mögliche bedeuten«, stieß Henry wütend hervor. »Vielleicht wird ein Nager unser Opfer.«
»Vielleicht. Aber nachdem ich Zeuge deines letzten Angriffs sein durfte, bezweifle ich das«, sagte Ripred, während er sich über ein Stück Käse hermachte.
»Seit heute Mittag haben wir fünf Ratten getötet«, sagte Luxa.
»Ihr meint die Narren, die ich eigens ihrer Feigheit und Unfähigkeit wegen ausgesucht habe? O ja, bravo, Eure Hoheit. Das war eine kriegerische Meisterleistung«, sagte Ripred sarkastisch. »Schmeichelt euch nicht, ihr hättet je mit einer Ratte gekämpft.«
»Sie haben eigenhändig Fangor und Shed getötet«, sagte Mareth tapfer.
»Nun, dann nehme ich alles zurück. Fangor und Shed waren hervorragende Kämpfer, wenn sie denn ausnahmsweise einmal nüchtern waren«, sagte Ripred. »Aber ich nehme an, sie waren in der Unterzahl und durch die Ankunft unseres Kriegers aus der Fassung gebracht. Was sagst du, Krieger? Weigerst du dich auch, mit mir zu gehen?«
Gregor begegnete Ripreds spöttischem, gequältem Blick. Er hätte sich gern geweigert, aber würde er dann jemals seinen Vater finden?
Als hätte Vikus seine Gedanken erraten, sagte er: »Dubrauchst Ripred, damit er dich zu deinem Vater führt. Diese Tunnels sind in keiner Karte verzeichnet. Ohne ihn würdest du den Weg niemals finden.«
Und doch war und blieb er eine Ratte. Schon nach wenigen Tagen im Unterland verabscheute Gregor die Ratten aus tiefstem Herzen. Sie hatten Luxas und Henrys Eltern getötet, seinen Vater gefangen genommen, und sie hätten ihn und Boots beinahe aufgefressen. Er spürte, wie der Gedanke an seinen Hass ihm Kraft gab. Doch wenn alle Ratten schlecht waren, wer war dann dieses seltsame Wesen ihm gegenüber am Feuer, das ihn anstarrte und sich als Führer anbot?
»Und was hast du davon?«, sagte Gregor zu Ripred.
»Eine berechtigte Frage«, sagte Ripred. »Tja, Krieger, ich will König Gorger stürzen, und dafür brauche ich eure Hilfe.«
»Und was sollen wir tun?«, fragte Gregor.
»Das weiß ich nicht«, gab Ripred zu. »Das weiß keiner von uns.«
Gregor stand auf und fasste Vikus am Arm. »Ich muss mit Ihnen allein sprechen«, sagte er. Die Wut in seiner Stimme überraschte ihn selbst. Er war wirklich wütend! Das mit der Ratte war nicht vereinbart gewesen. Sie hatte nichts mit dem Auftrag zu tun, den er angenommen hatte.
Vikus ließ sich von Gregors Zorn nicht aus der Fassung bringen. Vielleicht hatte er damit gerechnet. Als sie etwa zwanzig Meter von der Gruppe entfernt waren, fragteGregor: »Wie lange hatten Sie den Plan mit der Ratte schon?«
Vikus überlegte einen Moment. »Genau entsinne ich mich nicht. Vielleicht zwei Jahre. Natürlich hing alles von deiner Ankunft ab.«
»Und wieso haben Sie mir dann bis jetzt nichts davon erzählt?«, fragte Gregor.
»Ich glaube, man sollte den Menschen nicht mehr Wissen zumuten, als sie verkraften können«, sagte Vikus.
»Wer sagt, dass
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