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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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»Rettung! Wer kann?!«
    Ich muss die Sauerstoffzufuhr stoppen, sonst breitet sich die Brunst nach innen aus.
    Mit schnellem Handgriff schließt er das kleine Fenster Stockt. Öffnet es wieder. Schließt es wieder. Öffnet. Schließt. In seinem Gehirn setzt sich ein Denkprozess in Gang.
    Ich Trottel, ich dummer Trottel.
    Er stürmt zur schon brennenden Tür und zieht sie nach innen auf. Offen.
    Die ihn übermannende Panik hat seine Automatismen gelähmt. Automatismen, wie das jahrelange Öffnen des Portals zu seinen Büchern. Die Tür geht von außen nach innen auf. So ist es immer gewesen!
    Er schreitet schnell ins Freie, vorbei an dem flammenden Holz, atmet tief aus, dann ein. Er eilt zum Gartenschlauch, mit dem er für gewöhnlich sein Gemüsebeet wässert.
    Wut und Erleichterung treiben ihn an. Wut über den Brand, Erleichterung über seine Rettung. Wobei, verbrennen können immerhin noch die Bücher.
    »Lauft!«, schreit er nervös in Richtung Schuppen, während er den Schlauch Richtung Brandherd zieht. »So schnell ihr könnt.«
    Als er vor der Hütte steht, bemerkt er, dass das Wasser noch nicht marschiert.
    »Hexenmist!«, er lässt das Schlauchende zu Boden sausen. Er humpelt wieder zum Wasserhahn. Dreht vehement und schnell an den Armaturen. Das Wasser stößt nun in den schlaff daliegenden Schlauch, der sich prompt kobraartig aufbäumt. Wie eine lebendige, wild gewordene Peitsche tanzt der Schlauch wellenförmig über den Rasen. Wasser spritzt in unkontrollierten Bögen durch die Luft. Locher greift, einem englischen Torhüter gleich, viermal am Wasserspender vorbei, dann hat er ihn.
    Er hält den Wasserstrahl auf die züngelnden Flammen. Ein heldenhafter Feuerwehrmann würde nicht anders agieren. Kampf der lodernden Gefahr! Sekunden später erklärt ein finales Zischen das Feuer für erloschen. Letzte Funken zittern wie Irrlichter durch die Luft, verglühen bald an Sauerstoffmangel.
    Brand gelöscht.
    Locher sucht Halt. Irgendetwas pfeift. Er blickt um sich, der Wasserschlauch. Er rennt zum Haus und bringt die Quelle zum Versiegen. Das Pfeifen ist noch da. Der Wind? Wie er so dasteht und atmet und schnauft und pfeift, merkt er, dass es seine Lungen sind.
    Locher begutachtet die Eingangstür zu seiner Schuppenbibliothek kritisch. Verkokelt. Fast bis zur Mitte. Das Feuer hat zum Glück nicht auf die Wände übergegriffen. Dafür war Feuerwehrmann Locher zu schnell.
    Aber da ist noch etwas.
    Locher kniet nieder, hebt den Gegenstand auf. Schwarze, verbrannte Überreste eines Schuhkartons. Stinkend. Nach Rauch, aber auch nach Spiritus. Aber auch, und so fügt sich ein Bild zusammen, nach Defäkation. Dieser vom Löschwasser aufgeweichte und feuchte Brei, hängt ihm nun an der linken Hand.
    Teufelswerk!
    Im nächsten Moment weckt ein anderes grauenhaftes Bild seine Aufmerksamkeit. Großvaters Bibel. Die Bibel Grimm. Ihr geliebtes Märchenbuch. Etwa ein Drittel des unteren Teils sind verbrannt. Schwarzes, abgenagtes, wasserdurchtränktes Papier. Beschmutzt. Entseelt. Wie tot.
    August ist entsetzt. Seine Kehle zuckt. Er würgt, erleidet Atemnot. Er könnte kotzen.
    So kniet Locher in der Abenddämmerung. Mit gesenktem schweren Haupt. In Memoriam Bibel Grimm.
    Was war das? Ein Bubenstück, das außer Kontrolle geriet. Offenbar. Locher lässt seine Augen durch die Düsternis der Hinzestraße streifen. Verstecken sich wohl. Er sieht nichts.
    Der Wald gibt nur bekannte Laute von sich. Da ist niemand versteckt. Locher blickt zurück. Plötzlich vernehmen seine Ohren mehrere erstickte Lacher. Nun erahnt er doch den Absender dieser Geräusche. Im Garten der Engelhardts sind Umrisse auszumachen. Düstere Gestalten stehen zwischen den Holzskulpturen. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen, erkennt er die Rotzbuben aus der Tybbkestraße. Sie wissen schon.
    »Seid ihr bescheuert! Das kann verheerende Folgen haben!«, ruft Locher sich überschlagend in die Nacht. Erstaunlich laut. Erstaunlich eisig.
    »Das kommt davon, wenn man nächtlich mit Messer auf Passanten losgeht«, schallt es aus dem Vorgarten gegenüber zurück. Das war kein Sonderschüler. Die Stimme gehört zu Gisbert Engelhardt. Und als wäre es eine Aufforderung der Natur, sich immer dem Ehemann verbal anzuschließen, kommt von Lydia Engelhardt ihr berühmtes »Du Schwachsinniger« hinterher. Wie Bumerangs durchschneiden die Sätze den lauen Abend.
    »Hören Sie, Sie haben meine Hütte beschädigt! Und mein Märchenbuch getötet!« Locher wartet, bis

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