Großstadt-Dschungel
12:30 Uhr nach Hause komme, riechen meine Füße, und ich habe fünfhundertsechzig Dollar weniger auf meinem Konto. Fünfhundert für ein Jahr Unterricht und sechzig für den bewundernswerten weißen Anzug, den ich immer noch anhabe, weil ich ihn einfach zu extravagant finde.
Sam sitzt wieder auf dem Sofa und sieht erneut „Beautiful Bride“. Fotoalben liegen kreuz und quer auf der Couch verteilt. „Du riechst“, sagt sie.
„Danke, du auch. Hast du auf dem Sofa geschlafen? Hat jemand angerufen?“
„Nein und nein. Warum? Hätte jemand anrufen sollen?“ In ihrer Stimme lag ein Ton, der mich innerlich fragen ließ, ob ich eine fast leere Flasche Cola Light auf dem Küchenschrank vergessen hatte.
„Ich habe einen Typ in der Bar getroffen, der gesagt hat, dass er anrufen will.“
„Nur weil ein Typ sagt, dass er anrufen will, heißt das noch lange nicht, dass er es tut. In der ‚City Girls‘ steht, dass ein Mann nur sagt, dass er anruft, weil er damit leicht die Möglichkeit hat, die Unterhaltung zu beenden. Wer ist es?“
„Damon Strenner.“ Seit wann liest Sam die „City Girls“?
„Ich kenne ihn. Er ist süß. Ich dachte, er hätte eine Freundin.“
„Glaube nicht.“ Jetzt reicht es aber langsam mit dem Freundinnengequatsche. Er ist offensichtlich drüber weg; wann sind es die andern? Meine sämtlichen „Cosmopolitan“, „Mademoiselle“, „Glamour“ und „City Girls“ liegen verstreut auf dem Fußboden und sehen um einiges zu gelesen aus. „Lernst du das Zeug auswendig?“ Ich lasse mich auf den Boden fallen und fange an, durch die Zeitschriften zu blättern.
„Da steht ’ne Menge nützliches Zeug drin. Mein ganzes Wissen über tantrischen Sex habe ich daraus. Sollte ich jemals wieder Sex haben, probiere ich ‚Die Brezel‘ aus.“
„Und was ist ‚Die Brezel‘?“ frage ich.
„Die Frau ist oben und hat ihre Beine unter den Knien
des Mannes verschränkt, der seine Arme locker um ihren Rücken legt.“
„Hört sich nach Arbeit an.“
„Es hat vier von fünf Glöckchen. Das heißt, dass es ganz schön schwer ist. Das Sprungbrett möchte ich auch gern ausprobieren.“
Ich möchte schon gar nicht mehr wissen, wie es geht. Mir kommt ein Gedanke. „Ist dir schon mal aufgefallen, dass deine und Marcs Initialen S und M ergeben?“
„Und?“
Was hätten sie zu Halloween für ein geniales Kostüm – sie werfen sich in irgendwelche Lederklamotten, nähen sich ein S und ein M auf die Brust und legen sich Handschellen an. Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, ob das „und?“ bedeutet, dass sie nicht weiß, was S und M heißt, oder ob sie es weiß und es ihr egal ist. Ich lasse das Thema fallen.
„Guck mal, wie glücklich wir waren“, sagt sie betrübt und wuchtet mir ein Fotoalbum auf den Schoß. Auf der rechten Seite sind drei Bilder von einem damals glücklichen Paar am Strand von Florida und eins von ihr, wie sie auf einem Hotelbett sitzt. Zu jedem Foto gehört eine Bildunterschrift: „Sam im Hyatt“, „Marc und Sam im Sand“, „Marc und Sam im Wasser“ und so weiter. Auf der linken Seite klebt eine Collage aus Flugtickets, Eintrittskarten fürs Museum, Speisekarten und Busfahrscheinen. Sie gehört zu der Spezies Mensch, die wohl auch die Verpackung des Kondoms vom ersten Mal aufhebt.
Marc und Sam sehen wirklich glücklich aus. Auf einem Bild liegt Sam mit einem weißen Laken bedeckt und einem Glas Wein in der Hand auf dem Bett und lächelt. Stimmt überhaupt, auf jedem Foto, selbst auf denen im Wasser, hält Sam ein Glas Wein in der Hand und lächelt. Sekunde! „Sam, ist das
dein
Bettlaken auf dem Foto?
„Äh … ja.“ Sie streicht mit der Hand über das Tuch, das sie sich um die Beine gewickelt hat.
„Du bringst dein eigenes Laken mit ins Hotel?“ Kann das wahr sein? Ist jemand so bescheuert?
Sie vermeidet den Augenkontakt. „Hast du ’ne Ahnung, was für Bazillen in Hotellaken hausen? Und Spermareste. Altes Blut, da ist …“
„Nimmst du auch deine eigenen Kissen mit?“
„Kissenbezüge. Hast du noch nie die Sendung ‚Sicher reisen‘ gesehen?“
„Werd’ mal wach! Niemand will jemanden heiraten, der so verrückt ist.“
Und dann geht es los; sie fängt hemmungslos an zu weinen.
Ich wollte einen Scherz machen. Manche Leute haben einfach keinen Sinn für Humor.
Damon ruft um drei an. Ich kann das Telefon hören, aber nicht finden. Es muss irgendwo auf dem Fußboden liegen … Ich finde Sweatshirts, ein zerknautschtes Laken, meinen
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