GU Liebevolle Gebote fuer ein erfuelltes Leben
für Gerechtigkeit in uns zu ersticken, sondern ihm zu folgen und uns zu trauen, aufzubegehren gegen Unrecht. Das ist eine andere Facette, eine andere Art, uns in der Liebe zu üben. Besser können wir uns nicht stärken. In Zeiten großen Unrechts, wie in der Militärdiktatur in Chile in den Siebziger- und Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts, wird die Liebe besonders bekämpft, denn nichts könnte einem Unrechtsstaat so gefährlich werden wie Menschen, die lieben und sich füreinander einsetzen. Und doch entfaltet die Liebe gerade in einer solchen Situation der Unterdrückung unaufhaltsam ihre ebenso subversiven wie befreienden Kräfte.
»Ich bin mir sicher, dass alle Menschen ein Gefühl für Gerechtigkeit haben und spüren, was passiert.«
Chominga schreit die Ärzte in die Schranken und findet ihre Würde
Chominga gehörte zu einer Gruppe von Frauen, die wir in der Zeit der Diktatur gegründet haben. Zusammen haben wir sogenannte arpilleras gefertigt. Das sind bunte, reliefartige Patchworkbilder. International bekannt wurden diese Bilder, die zuerst in Chile hergestellt wurden, durch Frauen oder Angehörige von desaparecidos, Menschen, die während der Diktatur einfach verschwanden: Wenn es »gut« kam, landeten sie im Gefängnis, schlimmstenfalls wurden sie gefoltert und ermordet. Die Frauen wollten mit diesen Bildern auf die Situation in ihrem Land aufmerksam machen und die Gewalttaten anklagen. Gleichzeitig war dies eine Möglichkeit für sie, etwas Geld zu verdienen. Aber es ging in unserer Gruppe für die Frauen auch darum zu lernen, einen Weg der Befreiung zu gehen.
Die weinenden Frauen
In unseren Werkstätten gestalteten wir meist biblische Themen. Die Gruppe unserer Frauen hatte sich selbst einen Namen gegeben: »Die Gruppe der achten Station«. Gemeint war damit die achte Station des Leidensweges von Jesus durch Jerusalem, der mit der Verhaftung beginnt. Die achte Station heißt »Die weinenden Frauen von Jerusalem«. Damit haben sich unsere Frauen identifiziert.
Obwohl Chominga zu dieser Gruppe gehörte, stand sie doch abseits. Ihre Beiträge zu den Bildern waren sehr einfach, klobig und ungelenk. Der Erlös von gemeinsamen Bildern wurde geteilt. Chominga verkaufte eigene Bilder so gut wie nie. Um sie nicht zu entmutigen, veranlassten wir oft diskret den Kauf ihrer Bilder.
Kaum jemals hörten wir von ihr ein Wort über ihr schweres Leben. Sie war eine Mapuche, gehörte also zu den indigenen Einwohnern des Landes. Wie die meisten von ihnen war sie Analphabetin. Sie hatte heranwachsende Kinder. Ihr Mann war Trinker. Sie trug sein ganzes Leben mit und war verantwortlich dafür, dass das Essen auf den Tisch kam, auch wenn er keinen Cent nach Hause brachte. Wenn er schwer betrunken und schmutzig heimkam, wusch sie ihn und sorgte für saubere Kleidung.
Gesundheitlich ging es ihr oft nicht gut. Wir hatten auch den Verdacht, dass sie von ihrem Mann geschlagen wurde. Chominga war noch keine vierzig, sah aber aus wie über sechzig. Wegen ihrer Schmerzen kam sie oft in die Polyklinik.
Ein ungeheuerlicher Mut
Eines Tages machte sie sich auf ins Gesundheitszentrum zur staatlich verordneten gynäkologischen Kontrolle. Mittags kam Chominga völlig außer sich zurück. Schon von Weitem schrie sie immer wieder: » Pasé el puente! Ich bin über die Brücke gegangen!« Niemand von uns verstand, was sie damit meinte. Unsere Sozialarbeiterin, Anita Maria, versuchte, sie zu beruhigen und herauszufinden, was ihr zugestoßen war. Langsam kam Chominga wieder zu Atem und erzählte, was geschehen war.
Im Gesundheitszentrum war Chominga von einer Gynäkologin untersucht worden. Diese nahm ihr die empfängnisverhütende Spirale heraus. Und Chominga, die so leise und so still war und von der niemand annahm, dass sie auch nur merkte, was vor sich ging, hatte mitbekommen, dass man ihr das diu, wie man hier sagt, entfernt hatte. Sie protestierte vehement: »Ich brauche das diu! Ohne das kann ich nicht leben.«
»Ach was, das ist längst vorbei, du brauchst das doch gar nicht mehr, du kannst keine Kinder mehr bekommen.«
»Ich weiß ganz genau, dass ich noch Kinder bekommen kann – und dann werde ich das auch. Aber ich kann keines mehr großziehen.
Mein Mann ist Trinker. Und ich kann nicht mehr. Ich habe schon drei Kinder. Mehr schaffe ich nicht.«
Die Gynäkologin wollte Chominga beruhigen: »Bei dir ist es wirklich vorbei mit dem Kinderkriegen.«
»Ich kann noch schwanger werden, ich bin ganz sicher, ich kann
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