Gwydion 01 - Der Weg nach Camelot
„Geh nach Hause.“
„Niemals“, schrie Gwyn. „Ich werde niemals aufgeben!“ Er hob den linken Arm zum Schlag, wurde aber mit Leichtigkeit geblockt. Dann griff Sir Kay an.
Die Wucht des Hiebes, der ihn in die Knie gehen ließ, war beinahe mörderisch. Er hörte, wie sein Schild mit einem hässlichen Splittern in Stücke ging, doch spürte er eigentümlicherweise keinen Schmerz. Es war, als gehörte sein Körper jemand anderem und er war nur ein unbeteiligter Zuschauer, der das Spektakel vom Logenplatz seines betäubten Geistes aus beobachtete.
Benommen öffnete er die Augen und schaute in einen makellos blauen Himmel. Er hörte das Durcheinander vielzähliger Stimmen und ahnte, dass sie wohl seinetwegen so aufgeregt klangen.
Rowan beugte sich über ihn. Er sagte irgendetwas, doch konnte es Gwyn nicht verstehen. Genau genommen war ihm sowieso alles egal: ob er lebte, ob er starb oder schon gen Himmel gefahren war.
Dann tauchte ein anderes Gesicht auf. Es war rund und freundlich und von einer gewaltigen blonden Lockenpracht umrahmt. Die roten Backen leuchteten und er konnte sich gut vorstellen, dass die Augen, die ihn nun ernst anschauten, sonst vor guter Laune funkelten. Er hörte, wie der Mann seinen Namen rief. Gwyn wollte etwas antworten, doch er konnte seine Lippen nicht bewegen.
Plötzlich kippte jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über ihn aus und er kam prustend wieder zu Sinnen.
„Gwyn?“, rief die Stimme. „Junge? Ist alles in Ordnung mit dir?“
„Ich weiß es nicht“, musste Gwyn zugeben. Er ließ sich aufhelfen und schaute an sich hinab. Seine Gliedmaßen waren alle noch an ihrem Platz, dennoch war er sich nicht ganz sicher, ob sein rechter Arm noch zu ihm gehörte. Der Mann nahm Gwyns Kopf in die Hände und schaute ihm prüfend in die Augen.
„Wer seid Ihr?“, fragte Gwyn.
„Mein Name ist Sir Urfin“, sagte der Ritter. „Ich bin gekommen, um meinen neuen Knappen in Augenschein zu nehmen.“ Er half Gwyn auf die Beine. „Aber ich sehe, König Artur hat eine gute Wahl getroffen. Meines Wissens nach bist du der Einzige, der gegen Sir Kay kämpfen musste und diesen Kampf überlebte.“
Sir Urfin wandte sich an den Hofmeister. „Ich muss sagen, Ihr leistet ganze Arbeit. Bald fliehen nicht nur die Sachsen vor Euch, sondern auch Eure Schüler. Vorausgesetzt natürlich, sie können noch auf eigenen Beinen stehen, wenn sie 1 durch Eure Lehre gegangen sind.“
„Wer in Camelot Aufnahme gefunden hat, muss wissen, dass er im Dienst einer besonderen Aufgabe steht“, sagte Sir Kay unbeeindruckt.
„Aber man muss den Jungen die Begeisterung für diese Aufgabe nicht mit aller Gewalt herausprügeln“, erwiderte Sir Urfin ebenso ruhig. „Kay, es sind noch Kinder!“
„Ihr irrt Euch, Sir Urfin“, antwortete Sir Kay, den es offensichtlich ärgerte, vor den Knappen ohne seinen Ehrentitel angeredet zu werden. „Sie haben ihre Kindheit hinter sich gelassen, als sie diesen Ort betreten haben.“
Es schien einen Moment, als wollte Sir Urfin etwas darauf erwidern, doch dann lächelte er nur. „Ich denke, wir beide werden in dieser Hinsicht nie einer Meinung sein.“
„Nein, vermutlich nicht“, sagte Sir Kay, ohne eine Miene zu verziehen. Die beiden verneigten sich knapp und Sir Kay drehte sich auf dem Absatz um und schritt davon.
Kaum war der Hofmeister verschwunden, stürmten die anderen auf Gwyn zu. Rowan verzog anerkennend das Gesicht und schlug ihm auf die lädierte Schulter. „Alle Achtung, entweder bist du vollkommen verrückt oder mutig. Die Art und Weise, wie du dich gegen Sir Kay gestellt hast, war höchst beeindruckend. Wie auch immer, in beiden Fällen sind es Eigenschaften, die du hier gut gebrauchen kannst.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er Gwyn die Hand entgegenstreckte. „Willkommen in Camelot.“
„Ja!“, erwiderten die anderen im Chor und brachen in Jubel aus. „Willkommen in Camelot!“
Gwyn konnte bei diesen Worten kaum die Tränen unterdrücken. Er hatte es geschafft. Sie hatten ihn in die Gemeinschaft der Knappen aufgenommen.
Ein Besuch bei Merlin
Der Rest des Morgens verging wie in einem Traum. Im Gegensatz zu Sir Kay war Sir Urfin ein ruhiger und geduldiger Lehrer. Gwyn hatte zunächst keine Vorstellung von Strategie und Taktik gehabt, doch am Ende der Stunde war er überrascht. Sir Urfin hatte sich zu ihnen gesetzt und aus einem Buch vorgelesen. Er wusste nicht mehr, wer in der Geschichte alles mitspielte, doch war es
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