Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
vertrieben, in deren Adern kein sächsisches Blut floss. Die Folge war, dass einst reiche Landstriche brachlagen und verkamen. Überall trafen sie auf verwaiste Höfe und Dörfer. An manchen Stellen begann sogar der Wald mühsam gerodetes Weideland wieder zurückzuerobern.
Die Befürchtung, dass sie auf Horden von Sachsenkriegern stoßen würden, erwies sich als unbegründet. Wenn es noch nicht einmal genug Bauern gab, um das Land in ausreichendem Maße zu bewirtschaften, wie sollte dann eine riesige Armee versorgt werden?
„Es ist seltsam“, sagte Katlyn. „Wir können nicht allzu weit von Londinium entfernt sein.“
„Bist du dir sicher, dass die Stadt nicht mehr weit ist?“, fragte Gwyn.
Statt ihm einen Antwort zu geben, trat sie an den Straßenrand. „Das ist ein Meilenstein“, sagte sie und riss den Efeu beiseite, sodass sie eine Inschrift erkennen konnten. „Er zeigt die Strecke an, die wir noch zurücklegen müssen. Gegen Mittag werden wir die alte römische Hauptstadt erreichen. Als ich vor über zehn Jahren fliehen musste, lebten hier in der Gegend viele Menschen und es gab unzählige Bauernhöfe, die die Stadt mit allem versorgten, was ihre Bewohner benötigten. Nichts davon ist mehr da. Die Höfe sind verschwunden, die Straße ist in einem erbärmlichen Zustand und kaum noch zu benutzen.“ Es war Katlyn anzusehen, wie sehr sie diese Veränderungen erschütterten. „Lasst uns gehen. Ich befürchte das Schlimmste.“
Tatsächlich sahen sie gegen Mittag die ersten Ruinen einstmals herrschaftlicher römischer Häuser. Wahrscheinlich hatte ein römischer Beamter oder zu Wohlstand gekommener Kaufmann vor den Toren der Stadt ein großzügiges Anwesen errichtet, von dem jetzt nur noch einige zugewachsene Grundmauern standen.
Eine Meile weiter entdeckten sie die Überreste einer militärischen Anlage.
„Das ist das alte Römerkastell“, sagte Katlyn. „Die Stadt Londinium wurde drei Meilen weiter flussaufwärts errichtet. Sie liegt hinter den Wäldern dort drüben.“
Gwyn schaute sich beeindruckt um. Der Torbogen wie auch eine Mauer sowie zwei relativ unversehrte Wehrtürme standen noch. Die Unterkünfte der Soldaten und der Offiziere hingegen lagen alle in Trümmern.
„Dieses Kastell ist größer als Camelot“, sagte Rowan staunend.
„Alles, was die Römer in Britannien errichtet haben, ist größer als Camelot“, sagte Gwyn bedrückt.
„Ein Britannien, das sie am Ende seinem Schicksal überließen, weil es sich als nicht regierbar erwies“, sagte Katlyn bitter.
„Artur hat wenigstens versucht, die Stämme zu einigen, um den Niedergang zu verhindern“, sagte Rowan, der verzweifelt sein Weltbild zu retten versuchte.
„Und was ist am Ende geschehen?“, fragte Katlyn aufgebracht. „Er hat sich von seiner eigenen Größe blenden lassen.“ Gwyn wusste, dass sie noch immer wütend auf den König war, weil er ihre Bibliothek zerstört hatte. „Was ist mit Euch, Lancelot? Habt Ihr keine Meinung dazu? Ihr kennt Artur besser als jeder von uns.“
„Meine Ansichten sind nicht wichtig. Ich bin ein Ritter. Ich diene meinem Herrn. Politik ist nicht meine Sache“, sagte er zugeknöpft. „Außerdem ist es nicht meine Art, jemanden in seiner Abwesenheit zu verurteilen. Wenn es etwas gibt, was ich Artur zu sagen habe, so sage ich es ihm ins Gesicht. Oder schweige.“
Katlyn errötete, als hätte man ihr soeben eine schallende Ohrfeige verpasst.
„Lasst uns weiterziehen“, sagte Gwyn, um dem Disput die Schärfe zu nehmen. „Wir sollten den Blick auf die Straße richten, die vor uns liegt.“
Es dauerte eine knappe Stunde, bis sie den dichten Wald durchquert hatten und in einer Biegung der Thamesis Londinium sahen.
Oder das, was von dieser Stadt noch übrig geblieben war.
„Oh mein Gott“, murmelte Katlyn, als sie durch das zerstörte Stadttor schritten.
Londinium war groß und musste zu seinen Hochzeiten eine imposante Stadt gewesen sein. Doch diese Größe war im wahrsten Sinne des Wortes wie Staub vom Wind der Zeit hinweggefegt worden. Vor ihnen breitete sich eine Trümmerlandschaft aus, die mehr an ein Schlachtfeld als an eine menschliche Siedlung erinnerte. Ein wilder Hund durchstreifte die Ruine eines einst hochherrschaftlichen Hauses, dessen reiche Fresken und Mosaiken beschmiert oder gar zerschlagen worden waren. Als er die Eindringlinge bemerkte, knurrte er. Lancelot hob einen Stein auf und warf ihn nach ihm, worauf der Köter mit einem lauten Winseln das Weite
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