Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
ausgewandert– zunächst nach England, dann nach Frankreich, und da wollte er mal sehen, ob er Fuß faßt, und schließlich mußte er nach Israel. Und da sind sie denn dahin gegangen, und da haben wir uns dann 13 Jahre nicht gesehen. Bis sie nachher wiedergekommen sind, aber dann, hier in diesem neuen Regime mit dem Ulbricht usw., da war das natürlich auch wieder schlimm, nicht wahr, d. h., wir haben ja hier im Westen gewohnt, aber die Leute, die alle dort wohnten– es war eine schreckliche Zeit.
Eine Frau
Mein Vater war den ganzen Krieg über da. Das war wichtig. Wir sind auch nicht ausgebombt. Man hat das wie ein wenig beteiligter Zuschauer betrachtet.
Hitler war ihm gleich zu power, um diese Machtstelle zu bekleiden. Auf der andern Seite, dies Großdeutschland, das war doch wieder sehr gewünscht. Es war bloß nicht der richtige Mann.
Eine Frau, 1889
Als mein Mann pensioniert wurde, hat er ein großes Hitlerbild geschenkt bekommen, da sitzt er so auf’m Stuhl. Das hing dann über dem Schreibtisch.
Lehrer, 1940
Ja, ich hab’ gesehen, wie mein Vater den abgenommen hat, und meine Mutter, zack!, hinter die Kohlen damit.
Lehrerin, 1930 im Osten
Wir mußten auf dem Feld arbeiten, und neben mir ein schönes blondes Mädchen mit langen Zöpfen. Die war x-mal vergewaltigt worden. Und die sagte: » Eines Tages wird der Führer kommen, er wird auf dem Hügel stehen und sagen: Kommt her alle zu mir!«
Kunstprofessor, 1906
Hitler? Nein. Das hat mich nicht interessiert. Ich habe gleich nach dem Krieg ein Triptychon gemalt, und da war die Sache für mich erledigt.
Lehrerin, 1937
1947.– Ich fuhr allein in einem Zug und war ungefähr 10 Jahre alt, und da kam eine Frau mit ins Abteil, die war ganz resolut, und die setzte sich denn da hin, und da fragte sie mich, ob ich wüßte, wer Hitler war.
Das war das erste Mal, daß ich danach gefragt wurde, und ich wußte was, ich weiß nicht mehr was, aber ich wußte was, und ich hatte jetzt Angst…. Ich hatte wirklich den Eindruck, die fragt jetzt die Kinder aus, und das war mir ’n bißchen unheimlich, und ich hatte Angst, ich würde jetzt nicht das antworten, was sie erwartet. Und dann hab ich irgendwie gar nichts gesagt. Und da sagte sie: » Wehe, wehe! Die haben doch keine Ahnung heute!«
Sebastian Haffner – Die Deutschen und Hitler
Was auf den vorangehenden Seiten geboten worden ist, stellt gewiß keine fachgerechte, » wissenschaftliche« Meinungsumfrage dar. Erstens sind nur ein paar hundert Personen befragt worden, nicht zweitausend, wie es die Meinungsforschungsinstitute für nötig halten. Zweitens sind die Testpersonen nicht als repräsentativer Bevölkerungsdurchschnitt ausgesucht worden, sondern ihre Auswahl ist dem Zufall überlassen geblieben. Drittens sind sie gar nicht direkt nach dem gefragt worden, worauf es den Fragenden offenbar ankam und was die Antworten interessant macht– nämlich, was sie heute von Hitler halten und wie sie ihre heutige Haltung mit ihrer früheren unter einen Hut bringen–, sondern man hat ihnen nur eine scheinbar ganz harmlose und unverfängliche Sachfrage gestellt: » Haben Sie Hitler gesehen?« Dabei kam es natürlich nicht auf das Ja oder Nein an, sondern auf den Ton der Antworten, mehr noch auf die Unter- und Zwischentöne, das scheinbare Nebenher. Das ist mit Tonband und Stenographie festgehalten, genauso wie es herauskam, in seiner ganzen unkorrigierten Unschuld und Unbedachtheit, und das kann man jetzt nachschmecken.
Trotzdem, oder vielmehr gerade deswegen, scheint mir, daß sich aus dem Inhalt dieses Büchleins mehr über das große Thema » Die Deutschen und Hitler« erfahren läßt als aus jeder professionellen Meinungsumfrage. Natürlich, wenn man systematischer vorgegangen wäre und die Testpersonen nach dem üblichen Raster vorgesiebt hätte– Exnazis und Exantinazis, Männer und Frauen, Großstädter, Kleinstädter und Landbewohner, Katholiken und Protestanten, Selbständige, Angestellte und Arbeiter, Siebzig-, Sechzig- und Fünfzigjährige usw. –, wäre das Ergebnis noch hieb- und stichfester. Aber damit wäre weniger gewonnen gewesen als damit verloren wäre, wenn man ihnen Meinungen und Urteile abgefragt hätte, deren sie sich meistens kaum bewußt sind. Auch das bei Meinungsumfragen übliche Auswahlsortiment vorfabrizierter Antworten– » Welches Urteil über Hitler kommt Ihrer Meinung am nächsten?«– hätte nur schablonisierte Ergebnisse gebracht, und vielleicht nicht einmal immer ganz
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