Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
mit geneigtem Kopf an. Hier stand diese junge Person, dachte Nevin, und
hatte sich das Privileg der alternden Frau angeeignet, einfach so,
offensichtlich ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was es symbolisierte,
nur auf Bequemlichkeit und Einfachheit bedacht. Was für eine oberflächliche
Person! Nevin versuchte in Kadirs dunklen Augen zu lesen, ob er ebenso empfand,
doch Kadir wich ihrem Blick aus.
Seda
rollte mit den Augen. Ob Kadir was mit der hatte? Eine, die solch
primitive Register zog? Es schien ganz so. Da hatte sie ihm aber mehr
zugetraut! Aber woher kam ihr brennender Wunsch, der dämlichen Pute eins über
ihren makellosen Langhaarschädel zu braten? Ihr, Seda, konnte diese Person doch
völlig gleichgültig sein und wenn sie ernsthaft meinte, eine Ärztin sei etwas
Besseres als eine Rezeptionistin, bitteschön! Diese Haltung begegnete ihr nicht
zum ersten Mal. Ah, hier hatte sie einen für die aufgebrezelte Schnecke:
»Wenn
Ihre Praxis nicht richtig läuft, dann werden Sie doch Bereitschaftsärztin für
die Hotels, das bringt ein bisschen was ein. Aber dafür müssten Sie ein paar
Sprachen sprechen. Als Diplomatentochter spreche ich natürlich fünf Sprachen
fließend, deshalb habe ich auch meinen Job bekommen. Drunter geht nichts. Es
geht sehr anspruchsvoll zu in den großen Hotels. Sogar Ärzte, die dort ja doch
eigentlich nur Handlangertätigkeiten verrichten, hier mal ein verdorbener
Magen, dort ein Sonnenstich, müssen ein bisschen polyglott und weltgewandt
sein.«
»Die
Idee hatte ich natürlich schon, denn, wie es der Zufall so will, spreche ich
Deutsch und Englisch nahezu fließend. Man war ja in Istanbul auf einer guten
Schule. Aber ich arbeite nur exklusiv für den Meridian Club als
Bereitschaftsärztin, wenn Dr. Güney ausfällt, nicht in den anderen Hotels. Diesen
Job habe ich Kadirs Fürsprache beim Geschäftsführer zu verdanken, ist das nicht
süß von ihm gewesen? Ich war sogar schon zweimal im Club, aber ich habe Sie gar
nicht gesehen, Seda. Da hatten Sie wohl gerade keine Schicht an der Rezeption
oder haben sich ein kleines Rauchpäuschen erlaubt?«
»Ich
rauche doch gar nicht!«, entfuhr es Seda. Sie sah Kadir an, als ob er dies
bestätigen sollte, aber Kadir betrachtete angelegentlich eine Strähne von Sedas
Haar, die ihr in die Stirn gefallen war.
Er
hat mich ihr zuerst vorgestellt, dachte Seda. Wieso nicht andersherum?
»Oh?
Ich dachte, wegen Ihres etwas ungesunden Teints. Wir Ärzte haben einen Blick
dafür. Nicht die gute Frau Doktor anschwindeln, junge Frau!«
Kadir
erwachte aus seiner Trance und starrte Nevin wütend an. Das ging zu weit. Was
war in sie gefahren, was ging hier vor? Nevin bemerkte seinen Blick und
schluckte den nächsten Satz hinunter. Wieso brachte diese kurzgeschorene Göre
das Schlimmste in ihr hervor? Sie konnte sie wohl kaum als Konkurrenz
betrachten, hierfür genügte ein Blick, und Kadir hatte sie ihr in einem
vollkommen neutralen Tonfall vorgestellt. Nichts deutete darauf hin, dass hier
jemals mehr als kollegiale Kameradschaft geherrscht hatte. Aber dennoch … war
Seda etwa die Person, mit der er inoffiziell in dem Mordfall zusammenarbeitete?
Die Informantin mit den Beziehungen zu diplomatischen Kreisen, die schon alles
getan hatte, um Schmalfuß aus dem Gefängnis zu holen? Aber natürlich, sie hatte
ja gerade erwähnt, dass sie Diplomatentochter war, und offensichtlich war Schmalfuß
nicht nur ein Freund von Kadir sondern auch von ihr.
Nevin
gefiel diese Entdeckung überhaupt nicht, aber sie riss sich zusammen und fuhr mit
in verändertem, freundlichen Plauderton fort:
»Können
Sie sich vorstellen …«, lenkte sie ein, »…dass ich bislang meinen Fuß außer in
den Meridian Club in keines der anderen Hotels gesetzt habe? Unglaublich,
nicht? Und das in einer Stadt, in der es mehr Hotels als Wohnhäuser gibt.
Sicher wären die Hotels eine gute Einnahmequelle, da haben Sie vollkommen Recht,
aber ich mag mich nicht dauernd mit Touristen abgeben. Die Atmosphäre in
solchen Bettenburgen stößt mich zutiefst ab. Aber der deutsche Meridian Club
hat Klasse, das ist etwas anderes, nicht wahr, Kadir? «
Sein
Gesichtsausdruck sagte ihr, dass sie sich vorhin zu sehr vergaloppiert hatte,
und dass der schwache Einlenkungsversuch dies nicht wirklich ausmerzte. Was war
nur an dieser Seda Güven, dass es sie so reizte? Sie konnte doch nicht jede
Frau, die Kadir auf beruflicher oder privater Ebene kannte, angiften und – weiß
der Himmel – sie
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