Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
und sich unter
den Feigenbaum setzte. Hier draußen redeten sie, aus welchen Gründen auch
immer, über Dinge, die sie in keiner anderen Umgebung angesprochen hätten.
In
den umliegenden Gärten war noch kein Betrieb, es war still und friedlich. Kadir
blickte über kahle, von der Sonne festgebackene und von Rissen durchzogene
Felder in Richtung Berge. Die Felder wurden schon lange nicht mehr bestellt,
nur einige steinerne Bauernhäuser mit eingefallen Dächern kündeten von den
Lebensumständen, die hier einst das Leben der meisten Einwohner Dereköys
geprägt hatte.
»Ist
es für dich genauso wichtig wie für anne, dass ich bald heirate, baba ?«
Nazmi
Bülbül setzte vorsichtig einen Setzling ein und wischte liebevoll die Erde von
den zarten Blättern. Dann klopfte er die Erde fest und wandte sich zu seinem
Sohn um, der auf seiner Kiste hockte und ein Feigenblatt fixierte, dessen Stiel
er zwischen den Handflächen zwirbelte. Eine dunkle Haarsträhne fiel ihm in die
Stirn und für einen Moment erinnerte sich Nazmi an den kleinen Jungen, den er
nach seiner ersten Nacht in Deutschland frierend, nur mit Unterhose und
Unterhemd bekleidet, auf dem engen Balkon des Mietshauses gefunden hatte, wo er
mit schreckgeweiteten Augen auf die gegenüberliegenden Häuser und in den
diesigen Himmel gestarrt hatte. – Willst du wirklich, dass wir hier bleiben,
baba? -
»Du
musst deine Mutter verstehen, Kadir.«, setzte Nazmi an. »Ihre Enkel wachsen
fern von ihr auf, ganz egal wie oft wir sie besuchen oder deine Schwester zu
uns kommt. Es ist nicht das gleiche wie bei ihren Freundinnen und Nachbarinnen
hier, die jeden Tag ihre Kinder und Kindeskinder um sich haben, für die sie
kochen und die sie verhätscheln können. Und deine große Schwester Sevda hat
ganz andere Dinge im Kopf als zu heiraten und Kinder zu bekommen, das weiß
deine Mutter auch, und sie hat es akzeptiert.« Nazmi lachte leise, als er an
seine Lieblingstochter dachte. Auch er vermisste beide Töchter sehr, Sevda aber
noch ein Stückchen mehr als Aylin.
»Ja,
das ist mir alles bewusst, baba , und deshalb sage ich bei anne auch
nichts. Aber was ist mit dir?«
Nazmi
stand auf und streckte sich. Langsam kletterte die Sonne über die Bergkuppe und
ihre Strahlen erreichten den hinteren Teil des Gartens.
»Hörst
du meine Knochen knarzen? Ich werde auch älter. Aber, Kadir, das ist kein Grund
für mich, dass ich dich dazu dränge, mich zum Großvater zu machen. Ich halte es
gut noch eine Weile aus nicht zu wissen ob mein Name fortlebt oder nicht. Mir
ist schon klar, dass in der heutigen Zeit alles anders vonstattengeht als bei
deiner Mutter und mir damals. Das hier war ein winziges Küstenstädtchen mit
viel Landwirtschaft und ein bisschen Handel, nur ein einziges Mal in Woche fuhr
ein Bus über Kumkapi, Gümüsdere und Dereköy bis Antalya. Deine Mutter und ich
wussten sehr früh, dass wir heiraten würden, unsere Familien passten gut
zusammen. Unsere Eltern hätten uns nicht gezwungen, wenn einer von uns beiden
nicht gewollt hätte, aber wir kamen gar nicht auf die Idee nicht zu wollen.
Warum auch? Wir sahen ja selbst glasklar, wie wunderbar alles passte. Aber«,
fügte Nazmi verschmitzt hinzu, »es hat schon geholfen, dass deine anne ein
sehr hübsches Mädchen war.«
Kadir
lächelte und zupfte an dem Feigenblatt.
»Als
ich in deinem Alter war hatte ich schon drei Kinder! Du bist frei und
ungebunden und das einzige was ich will ist: Überlege dir immer gut was du
tust, Kadir. Ich will deiner Mutter nicht in den Rücken fallen, aber ich finde,
dass du alt und verständig genug bist, dir selbst eine Frau zu suchen. Ich
finde, dass deine Mutter es übertreibt und, denn so deute ich deine Frage, wenn
du irgendwelche Zweifel an der jungen Frau hast, die deine Mutter jüngst
angeschleppt hat, dann höre auf deine innere Stimme. Du bist mit deinen Eltern
zurück nach Dereköy gezogen, damit sie hier nicht ganz alleine, ohne ein
einziges ihrer Kinder, alt werden müssen. Du hast nie, nicht ein einziges Mal
durchblicken lassen, wie schwer dir der Abschied aus deiner deutschen Heimat
geworden ist. Aber ich weiß, dass es so war. Damit hast du mehr für mich getan,
als ich jemals gutmachen kann – und das gleiche gilt für deine Mutter. Wegen
mir musst du nicht heiraten, weder Nevin Arslan noch sonst jemanden, Hauptsache,
du bist glücklich.«
Erstaunt
sah Kadir auf. Er hatte noch nie erlebt, dass sein Vater etwas, wie dezent auch
immer, kritisierte, was Latife
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