Harry Dresden 09: Weiße Nächte
wie sie eigentlich bräuchte. Für gewöhnlich verschwenden wir kein Geld darauf, etwas wie das hier zu beenden. Die Burschen von der Sitte werden anderswo viel dringender gebraucht, wo weit mehr auf dem Spiel steht.“
Ich stieß ein Grunzen aus. „Der Umstand, dass es ganz offensichtlich ein Klub für die Stinkreichen ist, macht es auch nicht gerade einfacher, dem einen Riegel vorzuschieben.“
„Nein, ganz und gar nicht“, sagte Murphy. „Zu viele Typen mit zu guten Verbindungen in den Stadtrat müssen auf ihren Ruf achten. Dieses Etablissement ist ein wahrer Goldesel, doch solange sie damit nicht hausieren gehen, lassen die Bullen es bis auf den gelegentlichen Standardbesuch in Ruhe. Marcone wird das nicht aufs Spiel setzen, indem er uns hier tötet, wenn er das morgen genauso gut an einem weit weniger offensichtlichen Ort erledigen kann.“
„Kommt auf die Größe des Wespennestes an“, sagte ich.
„Ja“, stimmte Murphy zu. „Aber ich glaube, wir können uns ebenso gut setzen.“
Wir betraten das Büro. Es sah aus wie viele andere Chefbüros, in denen ich bisher gewesen war, dunkel, absichtlich einfach und teuer. Wir ließen uns auf bequeme Ledersessel nieder. Murphy behielt die Tür im Auge. Ich das Fenster. Wir warteten.
Zwanzig Minuten später näherten sich Schritte.
Ein Hüne trat durch die Tür. Er war wie eine Planierraupe gebaut, die man aus den Muskelpaketen eines Schwerstarbeiters, schweren Knochen und stählernen Sehnensträngen zusammengeschraubt hatte. Sein Nacken war so breit wie Murphys Hüfte, er hatte kurzes, tiefrotes Haar und Schweinsäuglein unter einer ausgeprägten Stirn. Sein Gesicht sah ein wenig danach aus, als wäre es eine halbe Sekunde, nachdem jemand sein Lieblingshündchen durch eine Glasscheibe getreten hatte, eingefroren.
„Hendricks“, grüßte ich Marcones Hauptvollstrecker mit kumpelhafter Fröhlichkeit. „Wie geht’s?“
Seine Schweinsäuglein starrten in meine Richtung. Dann grollte ein Knurren in seiner Kehle, er sah sich den restlichen Raum an und sagte dann über die Schulter: „Alles sauber.“
Marcone trat ein.
Er trug einen grauen Armani-Anzug und italienische Schuhe. Der letzte Knopf seines Hemdes am Hals stand offen. Er überragte die Durchschnittsgröße um ein paar Zentimeter und schien für einen Mann in denen Vierzigern in erstaunlich guter Verfassung zu sein. Sein Haarschnitt saß perfekt, er war tadellos gepflegt, und seine Augen waren von der Farbe abgegriffener Dollarnoten. Er nickte uns zu, umrundete den schweren Mahagonischreibtisch und setzte sich.
„Wow“, sagte ich. „Miss Demeter, Sie sehen fast genau so aus, wie dieser kriminelle Schleimbeutel, den ich da mal getroffen habe.“
Marcone stützte seine Ellenbogen auf den Tisch, seine Hände formten mit aneinander gelegten Fingerspitzen ein Dach, und er musterte mich mit einem gelassenen Lächeln. „Ihnen auch einen guten Abend. Es ist immer erfrischend zu beobachten, dass der Zahn der Zeit Ihrer Aufschneiderei nichts anhaben kann.“ Seine Augen huschten zu Murphy. „Sergeant.“
Murphy presste die Lippen aufeinander und nickte genau einmal. Ihre Augen hatten sich zu Schlitzen verengt.
„Wo ist denn die Amazone Gard?“, fragte ich ihn. „Ist Ihnen die Beraterin abhanden gekommen?“
„Miss Gard“, erwiderte er mit der Betonung auf dem „Miss“, „befindet sich derzeit woanders im Einsatz. Unsere Arbeitsbeziehung erfreut sich bester Stabilität.“
„Höchstwahrscheinlich würde ihr dieser Geschäftszweig hier nicht besonders zusagen“, riet ich.
Seine Zähne blitzten. „Ich sehe, Sie haben Ihr Mitgliedspaket in Empfang genommen.“
„Ich muss mich dazu zwingen, vor Dankbarkeit nicht loszuheulen“, antwortete ich ihm. „Aber es ist verdammt schwer.“
Seine hochgezogenen Mundwinkel und glitzernden Zähne ähnelten nicht im Mindesten einem Lächeln. „In der Tat sind all meine Geschäftsstandorte angewiesen, Sie auf diese Art zu behandeln, sollten Sie je dort auftauchen.“
Ich zog die Brauen hoch. „Sie versuchen doch wohl nicht im Ernst, mich zu kaufen.“
„Wohl kaum. Ich hege keine Illusionen betreffs Ihrer Sympathie meiner Person und meinem Geschäft gegenüber. Ich sehe darin eher eine Vorsichtsmaßnahme. Meinem Urteil nach sind Gebäude weit weniger in Gefahr, während eines Ihrer Besuche bis auf die Grundmauern niedergebrannt zu werden, wenn Sie verwirrt sind, weil man Sie wie einen orientalischen Herrscher behandelt. Ich kann mich nur zu gut
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