Harry Dresden 10 - Kleine Gefallen: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 10 (German Edition)
sie in Thomas’ Richtung. Mein Bruder fing sie …
… und plötzlich saß ein großgewachsener Mann, der zu schlaksig war, um einen gesunden Eindruck zu machen, und dessen Gesicht zu kantig war, um ernsthaft attraktiv zu wirken, in Thomas’ Kleidung auf dessen Sessel. Sein Haar war kurz gelockt und machte einen ewig zerzausten Eindruck. Seine Augen waren durch anhaltenden Schlafmangel eingesunken, doch sein starkes, markantes Kinn ließ ihn hart und gerissen erscheinen.
Herrjemine. Sah ich wirklich so aus? Vielleicht sollte ich mir wirklich Make-up zulegen.
Murphy sog scharf den Atem ein, und ihr Blick wanderte zwischen mir und Thomas in seiner neuen Gestalt hin und her. Molly gab sich nicht einmal die Mühe, ihre Reaktion zu verbergen und sagte einfach: „Wie cool!“
„Was?“, fragte Thomas. Auch wenn die sprechende Gestalt wie ich aussah, war der Klang der Stimme meines Bruders doch unverändert, und ein Ketchup-Klecks von seinem Burger prangte nach wie vor an seiner Lippe. Er sah sich kurz um, blickte dann finster, erhob sich und schlenderte in mein Schlafzimmer, um einen Blick in meinen Rasierspiegel auf der Kommode in meinem Badezimmer zu werfen. „Du hast also ein Püppchen erfunden, dass Leute in ihre hässlichen Halbbrüder verwandelt, hm?“
„Du wirst es überleben, Adonis“, rief ich ihm nach.
„Wenn du glaubst, ich lasse zu, dass du mir die Nase brichst, damit jede Einzelheit stimmt, erkläre ich dich endgültig für wahnsinnig.“
Ich stieß ein Grunzen aus. „Das stellt in der Tat ein Problem dar. Es sieht halt so aus wie an dem Tag, als ich es fertigstellte.“
„Das ist kein Problem“, meldete sich Molly wie aus der Pistole geschossen. „Ich hole meine Schminksachen und kann ihm zumindest die Augen richten. Ich weiß nicht, ob ich die Nase hinbekomme, aber aus einer gewissen Entfernung sollte es authentisch wirken.“
„Wenn er wie du aussieht, Harry“, warf Murphy ein, „bedeutete das dann nicht, dass er gewisse Feindseligkeiten auf sich ziehen wird?“
Thomas schnaubte und erschien mit von Ketchup befreitem Gesicht in der Tür zu meinem Schlafzimmer. „Harry läuft immer so rum. Das wäre furchtbar. Ein paar Stunden halte ich schon aus.“
„Werd jetzt ja nicht aufmüpfig“, warnte ich ihn. „Gib uns einfach zwei bis drei Stunden Vorsprung und mach dich dann selbst auf die Socken. Bleib auf der Straße und in Bewegung. Biete ihnen nicht die Chance, dich einzukreisen. Hast du dein Mobiltelefon bei dir?“
„Denke schon“, antwortete er. „Aber wenn man bedenkt, wie lange ich mit euch beiden abgehangen bin und wie mies das Wetter ist, ist es gut möglich, dass es den Geist aufgegeben hat.“ Ich grunzte und warf ihm Lederstaubmantel und Stab zu. Er fing beides und runzelte die Stirn. „Bist du sicher, dass du die nicht brauchst?“
„Verlier sie nicht“, ermahnte ich ihn. „Wenn die Geißlein meinen Doppelgänger sehen würden, der nicht meinen Mantel trägt, würden sie sofort die Lunte riechen, und der Grundgedanke ist ja, von Anfang an keinen Verdacht zu erwecken. Der Zauber hält bestimmt die nächsten sechs bis sieben Stunden an. Sobald er zusammenbricht, kommst du am besten wieder her.“
„Ja, ja“, sagte Thomas und schlüpfte in meinen Staubmantel. Die Illusionsmagie ließ ihn ihm nicht passen, und er musste an den Ärmeln herum zupfen, aber er sah aus, wie er immer an mir aussah. „Karrin, sieh zu, dass er nichts Dummes tut.“
Murphy nickte. „Werde mir Mühe geben. Aber du kennst ihn ja.“ Sie angelte sich ihren Mantel und zog ihn sich über. „Wohin fahren wir?“
„Zurück zu Gard“, entgegnete ich. „Zu den Carpenters. Ich verwette meinen Arsch darauf, dass Marcone ihr eine Haarprobe dagelassen hat, damit sie ihn in einem Fall wie diesem aufspüren kann.“
„Aber du hast doch gesagt, dass du durch den … äh … Schleierspruch der Silberköppe nicht durchkommst.“
„Höchstwahrscheinlich nicht. Aber wie ich Marcone kenne, hat er auch Proben seiner Leute eingesammelt. Um sie zu finden, falls sie jemals Hilfe benötigen oder …“
Murphy schnitt eine Grimasse. „In Frühpension müssen.“
„Ich hoffe, dass uns Gard Insiderinformationen bieten kann, die uns auf eine Spur zu der undichten Stelle führen.“
In der Zwischenzeit eilte Molly mit ihrem Schminkset zu Thomas hinüber und begann, sich in seinem Gesicht auszutoben. Thomas’ Gesicht befand sich etwa in Kinnhöhe meines Illusions-Ichs, wenn nicht sogar noch ein wenig
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