Haus des Todes
gebracht, doch es gibt das eine oder andere, was ich nicht herausgefunden habe. Ich weiß, dass Ihre Frau Sie verlassen hat. Was für ein Jammer. Denn es hätte mir Spaß gemacht, sie vor Ihren Augen zu töten. Es war nicht leicht, im Gefängnis an Informationen zu kommen, aber hin und wieder hat man Zugang zur Bücherei und zum Internet. Es ist schon erstaunlich, was man alles im Internet finden kann.« Und das stimmt. Was ihn mit am meisten überrascht hat, nachdem er aus dem Knast entlassen wurde, war, wie sehr die Grenzen der Privatsphäre aufgeweicht wurden. Inzwischen stellen die Leute ihre ganze Lebensgeschichte ins Netz. Halten ihre Freunde über ihre Gefühle auf dem Laufenden. Bei ihm stünde jetzt Caleb ist wütend.
Und dass die Welt total verrückt ist.
»Tu einen Indern nicht weh.«
Seit ihrer Ankunft vor einer halben Stunde hat sich die Szenerie verändert. Der Schlachthof liegt jetzt mehr im Licht, ist in den trüben Schein der Morgensonne getaucht, der aus hundert Grauabstufungen besteht; die Bäume wirken abweisend und unheilvoll, als würden sich zwischen ihnen die Kreaturen aus unzähligen Albträumen versteckt halten. Dann wird ihm klar, dass er selbst
eine dieser Kreaturen ist, dass er der Schwarze Mann ist, der Dr. Stanton nie in seinen Träumen heimgesucht hat. Caleb greift in den Kofferraum und packt Stantons Nase. Ohne zu zögern dreht er sie herum, und mit einem Knacken renkt sie sich wieder ein. Blut tropft heraus, während der Arzt wild um sich schlägt. Es läuft an seinem Gesicht und an einem Ohr herunter, aber das wird wieder in Ordnung kommen. Mit verletzten Nasen kennt Caleb sich aus, und diese hier war ausgerenkt, nicht gebrochen. Nach zehn Sekunden kann er Stantons Anblick nicht mehr ertragen.
»Hoch mit Ihnen«, sagt er.
»Was wollen Sie von mir?«, fragt der Arzt und blickt aus dem Kofferraum zu ihm hoch, er blutet immer noch ein wenig. Er hat geweint, und die Tränen in seinem Gesicht sind mit Dreck vermischt.
»Hoch mit Ihnen«, wiederholt Caleb und zeigt ihm das Messer.
Obwohl seine Hände auf den Rücken gefesselt sind, versucht Dr. Stanton herauszuklettern, und er schafft es, sich aus dem Kofferraum zu wälzen, landet aber seitlich auf dem Boden, sodass er keine Luft mehr bekommt.
»Es gibt hier keine Fluchtmöglichkeit und niemanden, der Ihre Hilferufe hört.«
»Wer sind Sie?«, fragt Stanton, zieht die Nase hoch und spuckt einen Klumpen Rotz und Blut aus. Dann rappelt er sich auf, schnaubt und wankt leicht hin und her.
»Wissen Sie das immer noch nicht?«
»Nein.«
»Erinnern Sie sich noch an James Whitby?«
»James Whitby? Nein, wer zum Henker …«, fängt er an und hält dann inne, und Caleb sieht, dass es ihm allmählich dämmert. »Aber … er ist tot.«
»Richtig.«
»Er wurde … ermordet«, sagt Stanton mit finsterem Blick.
»Na los, gleich haben Sie’s.«
»Sie … Sie haben ihn ermordet. Sie sind … Sie sind Caleb … Caleb Cole?«
»Jetzt haben Sie’s.«
»Mein Gott«, sagt er und schüttelt den Kopf, und von seiner Nasenspitze spritzen Blutstropfen in die letzten Reste der Nacht. Er hat die Augen weit aufgerissen, und sein Gesicht ist erfüllt von dem Wissen um die Vergangenheit und die unmittelbare Zukunft, die ihm bevorsteht. »Das war nicht meine Schuld«, sagt er mit hoher Stimme. »Ich habe nur meinen Job gemacht, und mit den Quellen, die mir zur Verfügung standen, war nicht mehr möglich. Ehrlich. Und was er getan hat – es tut mir leid, es tut mir aufrichtig leid.«
»Leid?«, sagt Caleb verwundert über die Wortwahl des Arztes. »Es tut Ihnen leid? Mehr haben Sie nicht zu sagen? Als dass es Ihnen leidtut? Wo waren Ihre Entschuldigungen in den letzten fünfzehn Jahren, die ich im Knast saß?«
»Ich …«
»Halten Sie den Mund«, sagt er und schlägt dem Arzt so kräftig er kann in die Magengrube; durch die Wucht des Hiebs klappen beide Männer vornüber, Stanton
kriegt keine Luft mehr, und Caleb hält sich den Bauch. Schließlich zieht er das Klebeband hervor und klebt dem Arzt den Mund damit zu. Schnaufend atmet Stanton durch seine verletzte Nase. Caleb ist versucht, ein kleines Loch in das Klebeband zu schneiden, damit der Doktor besser Luft kriegt, doch so wütend, wie er ist, würde er wahrscheinlich immer weiterschneiden, und dann säße er hier mit drei Kindern und einem toten Arzt. Stattdessen packt er ihn an den Haaren, zerrt ihn in Richtung Schlachthof und bringt ihn ins Innere des Gebäudes.
Aus einem Tag
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