Haut, so weiß wie Schnee
könnte.
Bisher hatte er das Mädchen immer als Kai Saalfelds Gefangene betrachtet. Jetzt war sie seine Gefangene. Und er wusste auch schon, welchen Nutzen er aus dieser neuen Situation ziehen würde. Er hatte nicht vor, das Mädchen sexuell zu missbrauchen. Zumindest nicht, wenn sie sich einigermaßen benahm. Sex war ein Einfallstor für Fehler, und er wollte seine Chance nicht leichtfertig verspielen. Stattdessen würde er das Mädchen zu Geld machen, zu einem Vermögen. Sie sollte das Startkapital für seine neue Existenz sein. Was die Fledermäuse betraf, hatte er ja einen Rückschlag verkraften müssen. Aber er hatte bereits einen Plan. Die Berichte in den Zeitungen hatten ihn darauf gebracht.
In der Villa gefangen
Im ersten Moment konnte Jette kaum etwas sehen. Gerade eben war sie noch im Dachgeschoss der Villa gewesen, in Dukies großem »Meereszimmer«, und jetzt saß sie im Erdgeschoss in diesem düsteren Gefängnis fest. Was mochte das hier sein, wo sie war? Der Raum war klein und sehr hoch. Fast wie ein Schacht. Von weit oben fiel schemenhaft etwas Licht herein. Es roch muffig und war kühl. Wieder spürte sie, wie müde sie war.
Hinter ihr schlug die Tür mit einem lauten Knall zu. Wim Tanner war gegangen. Oder sollte sie Señor Caño sagen? So hatte er sich ihr gegenüber in seiner neuen Verkleidung vorgestellt. Seine Erscheinung hatte etwas Fratzenhaftes gehabt, und sie hatte sich sehr erschreckt, als sie ihn zum ersten Mal so gesehen hatte. Jette hörte, wie er den Schlüssel im Schloss umdrehte. Kurz darauf fiel eine weitere Tür zu. Das musste die Rückwand des Garderobenschranks sein. Sie hatten das Gefängnis über die Garderobe im Erdgeschoss betreten.
Ein Gefühl der Einsamkeit überkam sie. Jette biss die Zähne zusammen. Sie konnte förmlich spüren, wie die Einsamkeit bis in die entlegensten Winkel ihres Körpers vordrang. Als hätte sie sich in die Blutbahn eingeschleust und ließe sich mit jedem Herzschlag tiefer in den Körper pumpen. Es war wie ein körperlicher Schmerz. Jette taumelte und stützte sich an einer Wand ab. Kalte Steine. Sie drückte ihre heiße Stirn gegen die kühle Fläche. Langsam ging es ihr wieder etwas besser. Als sie den Kopf hob, hatten sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt. Sie befand sich ineinem Treppenhaus mit einer engen hohen Wendeltreppe. Von weit oben fiel Licht in den Schacht.
Noch so ein Gefängnis, dachte Jette müde. Wieder ein Ort, von dem niemand weiß, dass er überhaupt existiert. Sie blickte hoch. Die Treppe wand sich steil in die Höhe, und ihr wurde vom bloßen Hinsehen schwindelig. Ganz oben konnte sie ein buntes Glasdach erkennen, durch das Licht hereinkam. Ich sollte hochgehen, dachte sie. Dort oben ist es sicher heller und freundlicher. Aber dann sank sie ermattet auf der ersten Stufe nieder und blieb regungslos sitzen. Ihr Fußknöchel schmerzte. Hier hatte die Kette gerieben, mit der Wim Tanner sie im Dachgeschoss festgebunden hatte. An einem Bettpfosten. Sie hatte sich gerade noch hinlegen können.
Ein Sonnenstrahl glitt über ihr Bein. Jette schaute hoch. Der Strahl hatte den Weg bis hierher gefunden und brachte etwas Licht in die Dunkelheit des Treppenhauses. Das Mädchen stand auf und fasste nach dem Handlauf des Geländers. Ihre Hand versank in einer dicken Staubschicht, und eine Wolke feiner Staubpartikel stob auf. Ein zweiter Lichtstrahl bahnte sich seinen Weg und ließ die Staubkörner in den Farben des Glasdaches aufleuchten. Jette nieste. Die Wände des engen Treppenhauses verstärkten den Schall, und sie hielt sich erschreckt den Mund zu. Ohne das Geländer noch einmal zu berühren, machte sie sich an den Aufstieg.
Sie kam an zwei Treppenabsätzen vorbei. Auf dem ersten stand die Campingtoilette. Wim Tanner war in dieser Hinsicht zuverlässig. In dem kargen, von der Welt vergessenen Raum nahm sie sich allerdings eher wie ein modernes Kunstwerk aus statt wie ein Gebrauchsgegenstand. Wenn ich hier raus bin, verschrotte ich dieses Klo eigenhändig, schwor sich Jette.
Auf der nächsten Etage standen ein Tisch und zwei Stühle. Außerdem gab es einen Kasten Wasser und ein paar Lebensmittel.Auf beiden Ebenen befanden sich Türen – dicke massive Holztüren ohne Griffe, von denen Farbreste abblätterten. Der schmale Spalt zwischen Tür und Rahmen war mit Spachtelmasse ausgefüllt. Dasselbe galt für die Schlüssellöcher. Jette klopfte an die Türplatten. Das Geräusch erstarb auf der Oberfläche. Man hatte auf den anderen
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