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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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keine Ahnung haben?«
    Als er aus dem Fenster in den Innenhof der Direktion sah, kam ihm eine Idee. Dort standen die Übertragungswagen von N24 und vom rbb, aber auch die von RTL und Sat 1. Wirklich ganz großer Bahnhof. Er ging zum Schreibtisch zurück und angelte sich das Telefon. Nach dem vierten Klingeln meldete sich eine tiefe Männerstimme.
    »Bremer, du hast doch einen Fernseher in deinem Büro, oder?«
    »Ja, aber jetzt läuft nichts Gescheites.«
    »Doch«, sagte Manzetti. »Ich bin in fünf Minuten bei dir.«

17
    Lara sah noch einmal aus dem Fenster des elterlichen Schlafzimmers, das einen Blick auf die Dorfstraße erlaubte. Die Luft war rein, ihre Mutter noch in der Bank und ihr Vater in der Direktion. Sie konnte also ungestört agieren. Sollte Paola unerwartet auftauchen, wäre das halb so schlimm, denn die kleine Schwester ließ sich mit ein paar Euro oder einem T-Shirt, das sie aus Laras Schrank nehmen und zwei Tage tragen durfte, sehr leicht bestechen.
    Sie schlich in die Küche und zog den Kühlschrank auf. Der war gut gefüllt, allerlei deutsche und italienische Köstlichkeiten standen neben dem üblichen Kram, den man in einem Kühlschrank erwarten durfte. Sie brach zwei Becher Joghurt vom Viererpack, nahm einen Camembert und zwei Knacker aus dem darunter liegenden Fach und warf die Kühlschranktür wieder zu. Was konnte sie noch mitnehmen? Ihr Blick ging durch die Küche und blieb am Obstkorb hängen. Zwei Äpfel und eine Banane waren bestimmt nicht verkehrt, wie auch der Kanten Ciabattabrot, das ihre Mutter nach einem Rezept von Oma Manzetti zu backen pflegte. Ihr Vater konnte dafür sterben.
    Alles zusammen verstaute Lara in ihrem Rucksack und marschierte in den Keller. Dort nahm sie aus einem Kasten eine 1,5-Literflasche Mineralwasser und postierte sich dann vor dem Weinregal. Links lagen die Flaschen, die Onkel Antonio ihnen jedes Jahr schickte. Ein tiefroter Barolo, der ihrer Mutter zu kräftig war. Aber ihr Vater, natürlich, er konnte auch dafür sterben. Ihre Mutter bevorzugte die rechte Seite, wo die französischen Weine lagerten. Lara nahm einen heraus – einen Syrah. Sie las den Text auf dem rückwärtigen Etikett. Dort stand etwas von einem kräftigen Johannisbeeraroma. Sie packte die Flasche ein und ging wieder nach oben.
    Es war noch immer niemand da. Alles schien wie geschmiert zu laufen. Sie schwang sich auf ihr Fahrrad und radelte auf dem Beetzseeradweg in Richtung Lünow. Ihr Ziel lag nicht weit vom Dorf entfernt, aber sie scheute sich den direkten Weg zu nehmen, fuhr lieber einen Umweg, um nicht gesehen zu werden.
    Auf halbem Weg sah sie sich um und bog dann vom asphaltierten Radweg auf den Feldweg ein, der an einer Baumreihe entlang bis zur Mühlenruine führte. Dort angekommen, warf sie ihr Fahrrad in ein Gebüsch und klopfte das verabredete Zeichen gegen das verwitterte Holz des Mühlenbockes.
    »Hat dich auch niemand gesehen?«, fragte Kevin durch den Spalt der kleinen Luke, durch die der Müller früher die Getreidesäcke ins Innere gehievt hatte.
    »Meinst du, ich bin blöd?« Lara schüttelte den Kopf. Warum glaubten die Jungen immer, nur sie beherrschten das Räuber- und Gendarmspiel?
    Lara stapfte die steile und schon sehr morsche Holztreppe hoch. Einige Stufen knarrten bereits verdächtig.
    »Los, komm rein«, zischelte Kevin und zog übertrieben grob an Laras Hand. Offensichtlich hatte er mehr Angst, entdeckt zu werden, als er das heute früh am Telefon zugegeben hatte.
    »Nicht so doll«, beschwerte sich Lara. »Du reißt mir ja den Arm aus.«
    »Entschuldige«, sagte Kevin und zog hinter ihnen die Luke wieder zu. Mit der anderen Hand schob er ein Stöckchen durch eine Öse und lugte dann durch ein Astloch in einem der Bretter, die die Außenwand der Mühle darstellten.
    Hoffentlich lehnte er sich nicht dagegen, dachte Lara, sehr zuverlässig sah hier nichts mehr aus. »Warum hast du denn die alte Mühle ausgewählt? Hättest du nicht auch ein Versteck in Brandenburg finden können? Ausgerechnet Ketzür.«
    Kevin wandte sich an Lara. Draußen war offensichtlich niemand außer ein paar Graugänsen. Schmale Lichtstreifen, die durch die Rillen zwischen den Holzbohlen fielen, beschienen sein Gesicht. »Das gehört zu meinem Plan«, sagte er. »Habe ich alles gut durchdacht. Bin halt Profi.«
    Lara stöhnte kaum hörbar auf. Profi? Ging es nicht auch eine Nummer kleiner? »Und was hast du dir durchdacht, du Profi?«, fragte sie und stellte den Rucksack, der mittlerweile

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