Havoc
sich um ihn gekümmert, Icarus. Wie rührend von Ihnen.«
»Pah! Ich dachte, ich könnte seine Zeichnungen verkaufen und das große Geld mit ihm machen«, schnaubte Scratch. »Stattdessen hat er mich fast mein gesamtes Hab und Gut gekostet.«
»Jetzt hören Sie endlich auf mit dem Gejammer. Sie bekommen Ihre Belohnung schon noch.«
»Das will ich auch hoffen.«
Miss Benjamin betrachtete Grendel, der wieder begonnen hatte zu zeichnen und erneut in Trance gefallen zu sein schien. In ihrem Blick lag eine Art widerwilliger Bewunderung.
»Er hat Malice erschaffen. Er hat meinen Meister erschaffen, der wiederum mich erschaffen hat«, sagte sie nachdenklich. »Er hat sich alles so lebhaft in seiner Fantasie vorgestellt, dass es real wurde.« Sie sah Scratch an. »Glauben Sie, dass er wirklich ein Gott ist?«
»Ich halte ihn für eine Missgeburt.«
Miss Benjamin wandte sich ab. Ihr Blick fiel auf etwas, was am Boden lag. Sie bückte sich und hob es auf. Ein Blatt Papier.
Meine Zeichnung.
Alles in Alicia krampfte sich vor Angst zusammen, als Miss Benjamin das Blatt an ihre spitze Nase hob und daran schnupperte. Ihr Gesicht nahm einen bösartigen, hungrigen Ausdruck an.
»Was ist das?« Scratch blickte über ihre Schulter. »Macht er etwa Selbstporträts?«
»Das bezweifle ich.« Miss Benjamin ließ sich auf Hände und Knie nieder und schnüffelte am Boden entlang wie ein Bluthund, der eine Fährte aufgenommen hat.
»Was machen Sie denn jetzt schon wieder?«, fragte Scratch gereizt.
Aber Miss Benjamin ließ sich nicht beirren. Schnüffelnd kroch sie auf die Staffeleien z u … nähe r … und näher. Dann hob sie ruckartig den Kopf und sah genau auf die Stelle, wo Alicia sich versteckte. Direkt in ihre Augen. Sie kicherte gehässig.
»Ich glaube, wir haben Besuch«, zischte sie. Mit einem Satz war sie bei Alicia und zerrte sie
ans Licht.
Akropolis
1
»Mir reicht’s! Ich hab die Schnauze voll.«
Justin schleuderte seine Machete zu Boden. Seine Freunde, die vorneweg gingen und sich keuchend einen Weg durchs Dickicht bahnten, drehten sich zu ihm um.
Kady wischte sich den Schweiß aus dem dreckverschmierten Gesicht. »Was ist denn los?«, fragte sie kichernd. »Hast du etwa keinen Sinn für die Schönheit der Natur?«
»Mir würde die Natur besser gefallen, wenn sie ein ordentliches, wasserdichtes Dach hätte«, seufzte Justin. »Meine Klamotten sind klatschnass, ich bin todmüde und meine Füße bestehen zu neunzig Prozent aus Blasen.« Er deutete erschöpft auf den dichten Regenwald, der sie umgab. Auf den Blättern glitzerten noch die Tropfen des letzten Platzregens und am Himmel ballten sich schon wieder dunkle Regenwolken zusammen. »Es muss doch einen einfacheren Weg nach Akropolis geben.«
Seth unterdrückte ein Seufzen. Ihm wäre es auch lieber gewesen, sie hätten einen bequemeren Weg genommen, aber falls es den tatsächlich gab, dann kannte ihn anscheinend niemand. Felsenstein, die Bahnstation, an der sie ausgestiegen waren, lag am Fuße einer mächtigen Bergkette, die von üppigem, undurchdringlichem Regenwald bewachsen war. Und zwar feuchtkaltem Regenwald. Seth hatte nicht gewusst, dass es so etwas überhaupt gab. Wäre es ein tropischer Dschungel gewesen, wäre der Regen wenigstens warm gewesen.
In dem Moment tauchte der Führer, den sie im letzten Bergdorf vor dem Regenwald angeheuert hatten, zwischen den Sträuchern auf, um nachzusehen, wo sie blieben. Er war klein und gedrungen, hatte einen langen, braunen Bart und war am ganzen Körper mit zotteligem Fell bewachsen. Mit seinen bernsteingelben Augen und den spitzen Zähnen wirkte er wie eine Kreuzung aus einem Zwerg und einem Wolf. Da sein Name in ihren Ohren wie ein unaussprechliches Knurren klang, hatte Justin ihn kurzerhand »Stöpsel« getauft und der Spitzname war an ihm hängen geblieben.
»Schwierigkeiten?«, brummte er.
»Justin glaubt, dass es einen einfacheren Weg geben muss«, sagte Kady.
Stöpsel starrte Justin missbilligend an. »Fauler Junge. Fast da.«
»Das sagst du jetzt schon seit fast drei Tagen!«
»Fast da«, beharrte Stöpsel und stapfte weiter.
Justin schwang sich sein Bündel auf die andere Schulter und bückte sich nach der Machete. »Ich hasse diesen Zwerg«, knurrte er kopfschüttelnd, bevor er sich weiterschleppte.
Trotz aller Widrigkeiten machte Seth die Wanderung Spaß, und auch Kady war anzusehen, wie sehr sie es genoss, durch die Natur zu streifen. Sie war früher oft mit ihrer Mutter im
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