Heartbreak-Family – Als meine heimliche Liebe bei uns einzog (German Edition)
würden uns auf dem Schulhof und in der Cafeteria sehen. Ständig. Ständig. Ständig.
Sosehr ich mich auch danach gesehnt hatte, in Kens Nähe zu sein, auf diese Weise kam es mir nur noch falsch vor.
In den Pausen verkroch ich mich auf dem Klo, in der Umkleide der Sporthalle oder im Werkraum.
Lou verstand das nicht, sie fand mein Verhalten übertrieben und lächerlich.
Seufzend nahm ich die Jacke von der Garderobe und zog meine Stiefel an. Die braunen mit dem hohen Absatz. In einer halben Stunde war Treffen in der neuen Wohnung, die ich noch nicht gesehen hatte. Ein Freund von Sepp und meiner Mutter würde dazukommen, weil er die Dielen abschleifen und einige andere Renovierungsarbeiten übernehmen würde. Auch sollte besprochen werden, wer welchen Raum bekam. Ich fand das überflüssig, weil für mich ohnehin das Erkerzimmer vorgesehen war. Der Rest der Wohnung war mir egal. Es war sowieso nur übergangsweise.
Ich sah den Bus schon von weitem und musste zur Haltestelle rennen. Von null auf hundert in zehn Sekunden. Bloß nicht umknicken. In meiner Tasche steckte noch ein Buch, dass im Lauftakt mit seiner spitzen Kante in meinen Oberschenkel stach. Warum hatte ich das nicht rausgenommen? Im letzten Moment sprang ich am nickenden Fahrer vorbei in den Bus und keuchte einen Dank. Mein Herz raste, und meine Lunge brannte. Am liebsten hätte ich mich jetzt auf einen Sitz geworfen, aber es war nichts mehr frei, bis auf einen halben Platz neben einem fetten Mann, der trotz der kühlen Temperatur nur im Hemd unterwegs war. Sein Bauch blähte sich über der Hose. Zwei Knöpfe am unteren Ende des Hemds waren offen. Er hatte wahrscheinlich gar nicht gemerkt, dass sie aufgegangen waren, weil er unter dem Medizinball nichts mehr sehen konnte. Oder hatte er sie offen gelassen, weil sie nicht mehr zugingen?
Ich wandte mich ab und bemerkte Neo in der letzten Reihe des Busses. Erleichtert steuerte ich auf ihn zu.
»Hi, was machst du denn hier?« Die braunen Haare fielen ihm schräg über die Augen, und er trug ein verwaschen gelbes Hoodie. Sah gut aus.
»Ich muss zum Zahnarzt«, lächelte er. »Und du? Wohnst du hier in der Gegend?«
»Ja«, sagte ich und wies in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »In der Schlägerstraße.«
An der nächsten Haltestelle wurde der Platz neben Neo frei, auch der dicke Mann stieg aus. Ich setzte mich und sah, wie er mit merkwürdig verdrehten Schritten am Bus vorbeiging. Bei jedem Windstoß flappte eine Hemdseite auf und ich konnte seinen prallen weißen, behaarten Bauch sehen.
»Wo willst du hin?«, fragte Neo.
»Ach«, sagte ich. »Wir ziehen um. Jetzt muss ich in die neue Wohnung.«
»Scheinst dich ja mächtig zu freuen.«
»Ja, wie verrückt«, sagte ich und machte einen genervten Schmollmund.
»Warum?« Neo hob interessiert die Brauen. »Was ist mit der Wohnung?« Mir fiel auf, dass seine bernsteinfarbenen Augen genau zu seinem Namen passten. Neo leuchtete wie Bernstein.
Ich überlegte kurz, ob ich ihm davon erzählen sollte, ließ es aber bleiben. Schließlich redeten wir heute zum ersten Mal miteinander. »Zu lange Geschichte«, sagte ich, »die Nächste muss ich raus.«
»Okay«, nickte er. »Vielleicht demnächst, wenn du mal Zeit hast?«
»Ja, vielleicht.« Ich zog meine Haare unter dem Taschengurt hervor, ließ sie nach hinten fallen und stand auf. »Tschau!«
Irgendwie wollte ich ihm heute gefallen. Ich streckte mich und setzte die Füße in den hohen Schuhen langsam voreinander. Als ich ausstieg, sah Neo mir nach. Ich lächelte. Schade, dass Ken nicht so leicht zu beeindrucken war!
Beschwingt lief ich die Treppen zur U-Bahn hinunter und hatte Glück, die Bahn fuhr gerade ein.
Der Magnolienweg lag abseits der Hauptstraße, so dass ich von der Haltestelle noch ein Stück zu Fuß gehen musste. Einen Vorteil würde der Umzug jedenfalls haben: keine lange Fahrerei mehr zur Schule. Demnächst konnte ich bis sieben schlafen, statt sonst bis sechs, und würde trotzdem pünktlich kommen.
Ich bog um die Ecke, an der ich mit Ken zusammengestoßen war, und stand schon vor dem Haus. Ein schmiedeeiserner Zaun grenzte das Grundstück von der Straße ab. Durch die Hecke konnte ich im Garten einen Pavillon und einen roh gezimmerten Tisch mit Stühlen sehen. Und am hinteren Ende stand ein Walnussbaum. Ein Walnussbaum! In Gedanken zog ich von der frischen Nuss die noch zart grüne Pelle ab, und das Weiße kam zum Vorschein. Der Geschmack lag mir schon auf der Zunge. Ich liebe
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