Heartbreaker - Chartbreaker
Sie schmecken alle widerlich und nach spätestens dreißig Sekunden ist der ganze Glanz weg.«
»Ist doch egal!« Sie war entsetzt. »Wenn du bei denen zusagst, dann kriegst du vielleicht noch andere Produkte und irgendwann vielleicht sogar dein eigenes Parfüm. Ich komm gleich heute Mittag vorbei, um mir meine Lipgloss-Ration abzuholen! War auch Wimperntusche dabei?«
»Nein, hab ich noch nicht entdeckt. Vielleicht ganz unten im Karton.«
Victoria guckte mich tadelnd im Spiegel an. »Hat ziemlich lang gedauert, bis du mir das erzählt hast«, murmelte sie mit geschlossenen Lippen, um den Mund nicht zu bewegen, während sie weiter ihr Lipgloss auftrug. »Dafür gibt es die modernen Kommunikationsmittel, Audrey. Damit Freundinnen sich über die wichtigen Dinge im Leben austauschen können. Das hast du anscheinend verlernt.«
»Ich werd mich bessern«, versprach ich ihr. »Du wirst die Erste sein, der ich in Zukunft von den neuesten Entwicklungen in der Kosmetikbranche erzähle.«
Victoria hielt mir die Tür auf, als wir rausgingen. »Aber hallo! Sonst muss ich noch euren Postboten bestechen, damit er mir -«
Zwei Mädchen kamen plötzlich auf mich zu, mit einer Zeitschrift und einem Filzstift in der Hand. »Hi, Audrey, kannst du uns ein Autogramm geben?« Sie mussten aus dem ersten Jahrgang sein. (Immer im Doppelpack aufzutreten oder besser noch gleich in Horden ist das Hauptmerkmal von
Schülerinnen der ersten Jahrgangsstufe.) »Bitte, tust du’s?« Sie hatten denselben verzückten Ausdruck in den Augen wie die drei Mädchen von der Kennedy-Highschool am Tag vorher. Ich wurde allmählich Profi darin, diesen Blick zu erkennen.
Victoria stellte sich sofort vor mich und verschränkte die Arme vor der Brust. Bei der kleinsten falschen Bewegung würde sie über die beiden Schülerinnen herfallen. Dann blickte sie auf die Zeitschrift und ihre Augen wurden so groß wie Tennisbälle. »Ohmeingott!«
»Was denn?« Ich guckte über ihre Schulter auf die aufgeschlagene Seite.
Ein Foto von mir und Simon, wie wir uns küssten, starrte mich an. »Star-Muse mit Star-Musiker!«, lautete die Überschrift in Kaugummirosa, und darunter stand in kleinerer Schrift: »Audrey wirkt Wunder bei britischem Gitarristen!«
»Gib mal her«, sagte ich und riss den Mädchen das Magazin aus den Händen. Oben auf der Seite waren vier Fotos von mir zu sehen, alles Screenshots von dem verfluchten Video. Simon und ich in heftiger Umarmung, eines meiner Beine war um seine Hüfte geschlungen, seine Hände wühlten in meinen Haaren. Mit anderen Worten: Die Aufnahmen waren nicht mit Photoshop nachbearbeitet. »Victoria?« Ich erkannte meine Stimme selbst kaum wieder.
»Willst du dich hinsetzen?« Sie legte mir den Arm um die Schultern und hielt mich fest. »Komm, setz dich irgendwo hin. Du bist ganz blass.«
»Nein, ich will mich nicht setzen. Ich will ein Gewehr.«
»Nein, willst du nicht. Du bist ein friedliches Wesen. Du magst Kuscheltiere und Regenbögen. Gewehre passen nicht zu dir.«
»Dann ein Messer.«
»Nichts mit scharfen Kanten. Hier, setz dich.« Sie dirigierte mich zu einem Mäuerchen, die beiden Mädchen beachteten wir nicht mehr.
»Dann Nunchakus.«
»Das lass mal lieber. Du würdest dich damit wahrscheinlich eher selber umbringen, bevor du jemand anders erwischst.«
Die Zeitschrift zwischen meinen Händen war schon ganz zerknittert, und ich strich sie wieder glatt, um mir alle Fotos noch einmal genau anzuschauen. »Glaubst du, dass es sie überall zu kaufen gibt?«
Victoria setzte sich neben mich und betrachtete die Fotos, die wir vor ein paar Tagen schon gemeinsam im Internet angeguckt hatten. »Ähm, ich befürchte ja. Die Zeitschrift wird überall in den USA verkauft.«
Ich stöhnte auf und fuhr mit der Hand an den Mund. »Bin ich auf dem Cover?«, fragte ich dumpf. »Wenn ich auf dem Cover bin …« Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was ich dann tun würde.
Victoria nahm mir die Zeitschrift weg und warf einen Blick auf das Titelblatt. »Die Diät-Geheimnisse der Stars!«, las sie vor. »Nein, nichts über dich, du hast Glück - oder doch, Sekunde.«
»Was?«
»Oben rechts ist ein kleines Bild von dir.«
»Mit Simon?«
»Ja, na klar.«
»Ich will ein Gewehr.«
»Das haben wir doch schon ausdiskutiert.«
» Ohmeingott! Meine Eltern werden das sehen!« Meine Knie schlotterten, mir war abwechselnd heiß und kalt. »Sie werden in den Supermarkt gehen und Äpfel und Milch kaufen und in der langsamsten
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