Heilige Mörderin: Roman (German Edition)
Kunstwerk …«
»Als Kunst würde ich Patchwork nicht bezeichnen, eher als Kunsthandwerk. Aber auch das spielt eine große Rolle in unserem Leben. Finden Sie nicht, dass die Dinge um uns herum das Auge erfreuen sollten?«
»Ganz gewiss. Es ist phantastisch, wenn man so etwas schaffen kann. Das muss doch sehr schwierig sein?«
»Es ist zeitaufwendig, deshalb braucht man Geduld. Aber es macht auch viel Freude. Wenn man keine Freude an der Arbeit hat, kann man nichts Schönes schaffen.«
Kusanagi nickte. Seine Augen kehrten zu dem Wandteppich zurück. Zuerst hatte er geglaubt, es läge an der Wahl der Farben, doch jetzt wurde ihm klar, dass es Ayanes Freude an ihrer Arbeit war, die sein Wohlgefühl bei der Betrachtung des Teppichs ausgelöst hatte.
Obwohl der Balkon, der an die gesamte Breite des Zimmers angebaut war, sehr geräumig war, war es wegen der vielen Blumenkästen selbst für eine Person schwierig, sich darauf zu bewegen.
Ayane griff nach einer leeren Dose, die in einer Ecke stand. »Ist das nicht praktisch?« Sie zeigte Kusanagi die Dose.
Der Boden war mit kleinen Löchern versehen. Ayane schöpfte Wasser aus dem Eimer, das nun durch die Löcher lief und die Pflanzen besprengte.
»Statt einer Gießkanne, nicht wahr?«
»Genau. Es ist zu beschwerlich, das Wasser aus dem Eimer in eine Gießkanne umzufüllen. Deshalb habe ich einfach den Boden der Dose durchlöchert.«
»Gute Idee!«
»Nicht wahr? Mein Mann hat nie verstanden, wieso ich mir so viel Mühe mit den Blumen auf dem Balkon gebe.« Ayanes Gesicht verriet plötzlich eine gewisse Anspannung. Sie ging in die Hocke und fuhr fort, die Blumen zu gießen.
»Frau Mashiba?«, sprach Kusanagi sie an.
»Entschuldigen Sie. Ich kann einfach nicht fassen, dass mein Mann nicht mehr da ist.«
»Das erwartet auch niemand von Ihnen. Es kam ja so plötzlich.«
»Sie wissen es sicher, aber wir waren erst ein Jahr verheiratet. Ich hatte mich gerade an unser neues Leben gewöhnt, wusste nun, was er gerne aß und so etwas. Wir hatten noch so viel Schönes vor.«
Ayane schlug ihre freie Hand vors Gesicht. Kusanagi wusste nicht, was er sagen sollte. Die blühenden Pflanzen um sie herum erschienen ihm plötzlich herzzerreißend traurig.
»Entschuldigen Sie«, flüsterte sie.
»Wir können ein anderes Mal wiederkommen, um unsere Fragen zu stellen«, schlug Kusanagi spontan vor. Mamiya wäre sicher verstimmt gewesen, hätte er ihn hören können.
»Nein, nein. Es geht schon. Ich möchte ja selbst möglichst bald wissen, was geschehen ist. Aber ich kann grübeln, wie ich will, ich finde einfach keine Erklärung. Warum hätte Yoshitaka Gift nehmen sollen?«
In diesem Moment klingelte es an der Haustür. Ayane zuckte zusammen. Sie erhob sich und schaute über das Balkongeländer nach unten.
»Hiromi!«, rief sie und winkte kurz.
»Ayane?«
Ayane bejahte und kam wieder ins Zimmer, um nach unten zu gehen. Kusanagi folgte ihr. Als sie die Treppe hinuntergingen, stand Utsumi im Flur.
»Es ist Hiromi Wakayama«, flüsterte Kusanagi ihr zu.
Ayane öffnete die Haustür. »Hiromi!«, rief sie mit tränenerstickter Stimme.
»Ayane, du Arme! Wie geht es dir?«
»Es geht schon. Danke, dass du gekommen bist.« Ayane umarmte Hiromi und begann laut zu weinen wie ein Kind.
Kapitel 5
Ayane löste sich von Hiromi und wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Entschuldige«, sagte sie leise. »Ich habe mich die ganze Zeit so beherrscht, aber als ich dich gesehen habe, konnte ich plötzlich nicht mehr. Jetzt habe ich mich wieder im Griff. Wirklich.«
Ayanes angestrengtes Lächeln tat Kusanagi weh. Er hoffte, sie möglichst bald allein lassen zu können.
»Kann ich denn irgendetwas für dich tun, Ayane?«, fragte Hiromi mit einem beflissenen Blick auf ihre Lehrerin.
Ayane schüttelte den Kopf. »Nein, es genügt schon, dass du da bist. Außerdem kann ich im Moment sowieso keinen klaren Gedanken fassen. Komm doch rein. Du musst mir alles genau erzählen.«
»Einen Moment, Frau Mashiba«, unterbrach Kusanagi und sah die beiden Frauen an. »Wir haben auch noch einige Fragen an Frau Wakayama. Gestern Abend herrschte zu viel Durcheinander, um in Ruhe mit ihr reden zu können.«
Hiromi wirkte verunsichert. Offenbar hatte sie geglaubt, ihre Befragung sei mit den zwanzig Minuten am Vorabend beendet gewesen.
»Bitte, natürlich können Sie sich uns anschließen.« Ayane schien Kusanagis Absichten völlig misszuverstehen.
»Wir müssen zuerst allein mit Frau Wakayama
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