Heiliger Bimbam – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
dem gewaltsamen Ableben ihres Vaters nicht der geeignete Zeitpunkt dafür war. Da er nun wußte, was zu tun war, und eine Entschuldigung hatte, dieses Vorhaben nahezu unendlich lange hinauszuschieben, sah er keinen Sinn mehr darin, noch länger liegenzubleiben, und stand auf.
Er hastete über den Flur zum Badezimmer, mit Kulturbeutel und wehendem Handtuch. Ein leises Rascheln, wie von Ratten, die beim Fressen gestört werden, drang nach draußen und sagte ihm, daß das Bad besetzt war, vermutlich von Fen. Geoffrey öffnete langsam die Tür und sah sich Dutton gegenüber, der, das Gesicht eingeseift, ein Rasiermesser selbstmörderisch nah an der Drosselvene, leicht verschämt gestikulierte; Geoffrey zog sich zurück. »Frühstück ist in einer Dreiviertelstunde«, verfolgte eine Stimme ihn zurück in sein Zimmer. »Guten Morgen«, fügte sie nachträglich hinzu.
Nachdem Dutton das Bad verlassen hatte, nahm Geoffrey ein heißes Bad und ließ die Ereignisse des Vorabends noch einmal Revue passieren. Und während er so überlegte, kam ihm ein Gedanke. Es war ein so simpler, so naheliegender Gedanke, daß es ihm unbegreiflich war, warum er nicht schon früher darauf gekommen war. Und je mehr er ihn sich durch den Kopf gehen ließ, desto wahrscheinlicher erschien er ihm, obgleich es durchaus kleinere Probleme gab, die dadurch nicht gelöst wurden. Die Sache war also doch nicht so unergründlich, nein, ganz und gar nicht …
Er war nahezu liebenswürdig, als Fen hereinkam, angetan mit einem grellila Seidenmorgenrock, frischer, schlaksiger und unbezähmbarer denn je.
»Ich werde mich rasieren, während Sie Ihr Bad nehmen«, verkündete er drohend. »Sonst komme ich zu spät zum Frühstück.« Er schäumte sich großzügig das Gesicht ein und begann, sich einen Rasierapparat in langen, schabenden Bahnen über Gesicht und Hals zu ziehen. »Haben Sie gut geschlafen? Dieser Falter, den ich gestern gefangen habe, war heute morgen tot.«
»Das überrascht mich nicht. Wieso geben Sie vor, sich für Insekten zu interessieren?«
»Vorgeben?« Fen inspizierte ohne große Begeisterung sein Gesicht im Spiegel. »Ich gebe nichts vor. Im Grunde bin ich ein Naturwissenschaftler, den es reizt, Abstecher in die unsaubere, trügerische Literaturwissenschaft zu unternehmen. Das erkennen Sie auch an meinem klaren und präzisen Verstand.« Er strahlte angesichts dieser triumphalen Autologie. »Und ich leugne nicht, daß auch ein romantisches Interesse vorhanden ist. Das Leben in der Insektenwelt ist ein einziges Melodram – Die Tragödie des Rächers ohne den vielen Text.«
»Und die wäre ja dann wohl ziemlich blöd«, sagte Geoffrey. Er langte nach einem für Fen unsichtbaren Gegenstand neben der Wanne. »Hier ist ein Spielzeugboot.« Er setzte es aufs Wasser und schob es hin und her.
»Den Elisabethanern« – sagte Fen ausweichend – »ging es nicht so sehr um die Handlung … Die Stärke ihrer Dramen lag in der heute verlorengegangenen Kunst der Rhetorik. Sie erkannten, daß das Wort als Weg zu angenehmen Empfindungen der Handlung überlegen ist. Der einfache Zuschauer auf den Stehplätzen vor der Bühne des elisabethanischen Theaters war dem Bildungsbürger unserer Tage kulturell überlegen.« Er hielt inne und betupfte mit einem Blutstillstift einen Schnitt. »Wem gehört das Boot wohl?«
»Josephine Butler, denke ich: ein Relikt aus Kindertagen.« Geoffrey war darin vertieft, Wasser aus einem Schwamm auf das Boot plätschern zu lassen, um es zum Kentern zu bringen. »Ihr zitierter Stehplatzzuschauer hatte allerdings keinen Humor. Sonst hätte er sich niemals mit Shakespeares Beatrice und Benedikt abgefunden.« Er betrachtete das Boot nachdenklich und legte vorsichtig ein Stück Seife aufs Deck; es fiel runter. »Sie haben gehört, daß Josephine das Manuskript ihres Vaters verbrannt hat?«
»Und sich eine Ohrfeige eingehandelt hat? Ja. Aber das scheint wohl nicht viel mit unserem Fall zu tun zu haben. Mich würde aber doch interessieren, was das für ein Manuskript war. Garbin könnte das wissen – oder Spitshuker. Und merkwürdig ist auch, daß sie den Polizisten an der Kathedrale die Nachricht gebracht hat. Auch das muß nichts bedeuten. In dieser Geschichte gibt es zu viele periphere Elemente. In der Mitte herrscht eine hübsche, praktische Leere; an der Peripherie wimmelt es nur so von kryptischen Hinweisschildern.«
»Mir ist da ein Gedanke gekommen.«
»Bestimmt ein falscher.« Fen pustete sich aus einem Gummiballon,
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