Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
einmal, wo sie sich gerade befinden. Nein, meine Damen und Herren, es ist besser, wir wissen, wo sie sind, dann können wir sie besser schützen« – er hörte Zwischenrufe – »und so versuchen, an ihre Zuhälter heranzukommen, die Banden im Hintergrund, die unsere öffentliche Ordnung wirklich gefährden.«
»Wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie soeben Partei für die Prostitution ergriffen«, sagte die Reporterin des Privatradios.
»Für die Frauen, die gegen ihren Willen zu Prostituierten gemacht werden, Signora, nicht für die Prostitution! Und für die öffentliche Sicherheit. Man erreicht nichts, wenn man ein Problem, das man nicht loswird, nur verdeckt, wie Signor Decantro dies fordert.« Er sah den jungen Mann, der seinem Blick auswich, scharf an.
»Und was haben Sie dann im Borgo wirklich gemacht?« fragte die Journalistin weiter.
»Ich habe mir von dieser Dame, mit der ich abgelichtet bin, die Situation schildern lassen.«
Heiterkeit erhob sich im Saal.
»Zumindest wissen Sie jetzt über deren Oberweite ziemlich gut Bescheid!«
Er hatte diese selbstgerechte Journalistin mit ihrer spitzwinkligen Brille noch nie leiden können.
»Wir fragen uns, wie es dann zu einem solchen Bericht kommen konnte. Etwas ist doch immer dran«, sagte sie.
Laurenti war nahe daran zu platzen. Daß ein so miserabler Nichtskönner wie Decantro ihn hier vorführen durfte, schrie nach Rache.
»Fragen Sie den sauberen Signor Decantro, der diesen Unsinn geschrieben hat«, Laurenti wies auf ihn. »Er sitzt unter Ihnen.«
Natürlich ließ sich Decantro nicht lange bitten.
»Ich habe nichts anderes geschrieben als das, was ich mit eigenen Augen gesehen habe«, er war aufgestanden. »Niemand von Ihnen wäre zu einem anderen Ergebnis gekommen! Anständige Bürger haben ein Recht auf eine anständige Stadt und auf Sicherheit. Wenn bei einer Razzia im Borgo niemand festgenommen wird, obwohl an jeder Ecke ausländische Huren stehen, dann stimmt was nicht. Dann fragt man sich doch wohl zu Recht, weshalb gerade in einer Freitagnacht der Commissario in einer eindeutigen Situation anzutreffen war.«
Die Kameras waren auf Decantro geschwenkt, der seine große Stunde hatte.
»Gerade wir Journalisten«, erklärte er pathetisch, »tragen eine besondere Verantwortung. Hätte ich nicht vor einiger Zeit im ›Piccolo‹ auf die Mißstände im Borgo Teresiano hingewiesen, dann wäre überhaupt nichts passiert, und das Übel würde weiterwuchern, bis es irgendwann nicht mehr zu beherrschen ist. Das ist die Pflicht der Medien!« Seine moralische Rechthaberei ging den anderen schnell auf die Nerven.
»Wird der Commissario suspendiert, bis die Vorwürfe gegen ihn geklärt sind?« fragte der Korrespondent der ANSA.
»Es gibt keine Vorwürfe gegen ihn«, antwortete der Questore. »Es gibt lediglich unbegründete Behauptungen.«
»Unbegründet?« Decantro versuchte seinen letzten Auftritt. »Ich weiß, was ich gesehen habe.«
Laurenti war bereit, ihn zu schlachten. »Signor Decantro«, sagte er ganz ruhig. »Seit wann sind Sie Journalist?«
»Was hat das denn damit zu tun. Ich arbeite schon lange in diesem Beruf.«
»Ich bin seit siebenundzwanzig Jahren Polizist und seit vierundzwanzig Jahren in Triest. In dieser Zeit hatten wir mit dem, was Sie zu Ihrem Thema gemacht haben, nie ein größeres Problem. Daß Sie Freitag Nacht nicht auf Ihre Kosten gekommen sind, liegt daran, daß wir Donnerstag Nacht einige Festnahmen hatten. Ansonsten läßt sich feststellen, daß in Triest ein zum Rest des Landes gegenläufiger Trend herrscht. In Italien wird gegenüber dem Vorjahr durchschnittlich ein Zuwachs von dreißig Prozent bei Straftaten verzeichnet, in Triest liegen wir siebzehn Prozent unter dem Vorjahr.«
»Mit Statistiken wurde ich schon am Freitag zur Genüge gestopft. Ich glaube nur, was ich sehe.«
»Der ›Piccolo‹ hat diese Statistik vor einer Woche veröffentlicht, Signor Decantro. Sie hätten sie lesen können, wenn Sie lesen können. Stimmt es, daß Sie Volontär bei der Zeitung sind? Und wußten Sie eigentlich, daß ich Sie auf Streife geschickt habe?«
»Ich muß mich nicht beleidigen lassen«, schnaubte der junge Mann.
»Meine Herren, wir sollten sachlich bleiben«, der Questore griff ein, bevor Laurenti zum Todesstoß ansetzen konnte, der ihm keine Sympathie gebracht hätte. »Ich möchte alle Anwesenden beruhigen, es gibt keinen Grund zur Sorge. Nehmen wir es als gutes Zeichen, daß Signor Decantros Erwartungen
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