Heißes Blut: Anthologie (German Edition)
ist weg«, sagte Emile, der neben ihm erschien. »Sie hat das Rezeptbuch mitgenommen. Lebt Mariann noch?«
Der Puls an ihrer Kehle war so schwach, dass selbst Emile mit seinen scharfen Upyr -Sinnen fragen musste.
»Ja.« Bastiens Stimme war kaum mehr als ein Krächzen. Er wagte nicht, Marianns blasse Wange zu berühren. »Gerade noch.«
Emile sank auf die Knie und drückte Bastiens Schulter. »Tu es«, sagte er. »Verwandle sie. Wenn du noch länger wartest, wird keine Zeit mehr dazu sein.«
»Ich kann es nicht.« Kalte Tränen rannen über seine Wangen. »Sie ist bewusstlos. Sie kann nicht zustimmen oder ablehnen. Der Upyr -Kodex besagt …«
»Pfeif auf den Upyr-Kodex! In all der Zeit, seit ich dich kenne, ist sie die einzige Frau, die du geliebt hast. Wenn sie eine Wahl will, kann sie sie haben, nachdem du sie gerettet hast.«
Bastien hob so vorsichtig ihre schlaffe Hand an, als wäre sie aus Glas. Ihre Haut war ausnahmsweise noch viel kälter als die seine. Mariann regte sich nicht, als er ihre Finger an sein Herz drückte. »Ich habe noch nie einen Menschen verwandelt. Ich habe nur andere dabei beobachtet. Wenn meine Macht nicht dazu ausreicht …«
»Deine Macht ist groß genug. Du brauchst nur den Willen und den Mut, es zu wagen.«
Behutsam hob Emile die Hand, die Marianns umklammerte, an Bastiens Mund. So kalt die Finger auch waren, machte der Duft ihrer Haut ihn doch ganz angespannt vor Sehnsucht. »Trink, Bastien!«, drängte Emile. »Nur ein bisschen. Es wird es dir leichter machen, sie zu verwandeln.«
Das war Bastiens Spezies ebenfalls untersagt: sich von Menschen zu nähren, wenn diese keine Möglichkeit hatten, sich zu wehren. Aber er merkte, dass es ihm egal war. Was auch immer geschah, er würde zumindest einen Teil von Mariann in seinem Inneren haben.
Er stöhnte gequält, als seine Zähne sich verlängerten, und betete zu welchem Gott auch immer. Lass sie leben!, dachte er. Lass sie leben! Die Knochen ihres Handgelenks, das er behutsam hielt, waren zart wie die eines Vogels. Er durchbiss die Pulsader und nahm einen einzigen Schluck daraus. Mariann schmeckte nach Freude und Kummer, und ihr Blut war süßer als in seinen kühnsten Träumen. Trotz allem hatte der Akt der Blutaufnahme etwas Berauschendes, das die Sinne schärfte und den Körper reagieren ließ. Bastien musste sich zwingen, Mariann freizugeben. Sie war nicht stark genug; er durfte nicht riskieren, mehr zu nehmen.
Emiles Augen schimmerten vor Anteilnahme. »Sie ist jetzt in dir«, flüsterte er rau. »Benutz das Band des Blutes, um die Verwandlung des Fleisches zu vollziehen.«
Bastien hatte den Eindruck, dass Marianns Lider flatterten, aber er konnte sich nicht sicher sein. Sie war dem Tode nahe, das wusste er, und deshalb kannte er kein Zögern mehr, nur noch die Sicherheit, die man im Traum empfindet.
Nach einem tiefen Atemzug ließ er sein körperliches Ich zu Licht zerfließen, wie es immer geschah, bevor sich ein Upyr in einen Wolf verwandelte. Doch anstatt das Tier in ihm hervorzurufen, ließ er seinen Geist in Mariann einströmen, in die Stellen zwischen den Molekülen, aus denen sie bestand. Indem er ihre Energien vereinte, würde er die Essenz, die ihn unsterblich machte, in ihr zurücklassen – wie Hefe, würde Mariann vielleicht sagen, die einen Teig zum Aufgehen bringt. Die Vereinigung war unerwartet sinnlich, ein Eindringen, das weit über das hinausging, was rein körperlich erlangt werden konnte.
Bastien erwartete, Visionen von Engeln oder Sternen zu haben, wie andere Upyrs berichtet hatten – obwohl niemand wusste, ob diese Bilder real waren. Doch ob sie es waren oder nicht, Bastien sah jedenfalls keine Engel. Was er am stärksten wahrnahm, war Mariann: ihr zerbrochener Körper und ihr kämpfender Geist, der sich mit seinem weitaus stärkeren vereinte. Der Boden unter ihnen war hart, das Laub darauf wie eine dünne, feuchte Matte, aber ohne seine Gegenwart würde Mariann überhaupt nichts empfunden haben. Er musste kämpfen, um sich nicht selbst in der Verbindung zu verlieren.
Ich liebe dich , versuchte er ihr mit aller Kraft zu übermitteln. Lass mich dich heilen! Lass mich dich zurückholen!
Opa? , antwortete der schwache Funke ihres Bewusstseins.
Ich liebe dich , wiederholte er, nicht sicher, wie er reagieren sollte. Falls ihr Großvater sie zurückholen konnte, würde er eben vorgeben, ihr Opa zu sein.
Sie gab einen Laut von sich, den kein Sterblicher gehört haben könnte, ein gequältes Wimmern,
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