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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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zurückliegt, da konnte man kein Loch graben, ohne nicht auf einen ihrer Stollen zu stoßen – oder gar auf eine ihrer Kammern der Verschmelzung, wo sich alle Angehörigen einer ihrer Sippen einmal im Zeitengeviert zusammenfanden, um übereinander herzufallen wie die Hasen und neue Zwerge zu machen. Wer weiß? Womöglich ist es genau diese Eigenart gewesen, das Blut ihrer Sippen möglichst rein halten zu wollen, die sie zum langsamen Untergang verdammt hat. Sie wären besser beraten gewesen, mit ihren Traditionen zu brechen und ihr Blut ordentlich zu durchmischen, denn nach und nach kamen aus den Schößen der meisten Zwerginnen nur noch missgestaltete Kümmerlinge gekrochen, von denen viele nicht einmal Münder hatten, um an den Brüsten ihrer Mütter zu saugen. Immer mehr Bingen wurden erst zu Heimen, in denen nur noch Greise hausten, und dann zu stillen Grüften, die von allem Atem des Lebens verlassen waren. Dass die Zwerge so langlebig sind, dass die Älteren unter ihnen Abertausende Klagelieder über das Ausbleiben der Jüngeren schreiben konnten, nährte ihren Kummer nur umso mehr.
    Es hätte ihnen mehr genutzt, sich die Köpfe über ihre starren Gebräuche zu zerbrechen, anstatt ohnmächtige Reime zu schmieden. Doch dort liegt die größte Schwäche dieses Volkes: Sie tun alles so, wie sie es schon immer getan haben, und befolgen die Unzahl ihrer Gebote und Verbote blind. Iss nichts, was nicht aus der Erde kommt. Trag kein Gewand mit mehr als zehn Knöpfen. Vergrab jeden Sommer ein Zehntel deines Besitzes an einem sicheren Ort. Achte das Wort deiner Mutter und deren Mutter. Bestreicht die Tore eurer Bingen mit Fett aus dem Bürzel des Stinkmulls. Ich könnte noch endlos fortfahren …
    Bei aller Sturheit, die die Zwerge besitzen, gibt es jedoch zwei Dinge, die man ihnen gewiss nicht vorwerfen kann: faule Arme und ein feiges Herz. Das spiegelt sich allein in dem Namen, den sie für sich selbst verwenden: Drauhati. Die Unerschrockenen. Sie meinen damit, dass sie es als heilige Aufgabe verstehen, sich tiefer und tiefer in die Erde hinein zu wühlen, auf der Suche nach einem Ort aus ihren Sagen und Legenden. Den Grund aller Geheimnisse. Um diesen Grund zu erreichen, ist ihnen seit jeher jedes Mittel recht, und sie haben dabei Erstaunliches geleistet.
    So nehmen die Drauhati für sich in Anspruch, die Ersten gewesen zu sein, die jemals Skaldat geschmiedet haben. Es wird euch nicht überraschen, dass sie ihre eigenen Regeln aufgestellt haben, wofür die Gandus Arjitha verwendet werden darf und wofür nicht. Es ist ihnen verboten, Waffen und Rüstungen daraus zu fertigen oder irgendetwas, das den einzelnen Drauhati über seine Sippe erhebt. Man könnte das für klug erachten. Ich erachte es für eine weitere Fessel, die sich die Drauhati selbst angelegt haben.
    Worin sie allerdings ausgesprochen klug sind, ist das Bauen von Maschinen und Apparaturen. Schrauben, die sich endlos drehen und warmes Wasser aus dem Schoß der Erde in ihre Bingen fördern. Zeitmesser, die auf einen Wimpernschlag genau das Verstreichen der Stunden nachvollziehen, damit jede Arbeit unter ihnen gerecht auf alle Schultern verteilt werden kann. Schlösser für Truhen und Kisten, an denen sich jeder noch so geschickte Dieb die Zähne ausbeißt – wenn sie ihm nicht sogar die klebrigen Finger kappen, falls er zu dreist in ihnen herumstochert.
    Ihre Neugier und ihr Forscherdrang hat sich für sie aber auch immer wieder als zweischneidiges Schwert erwiesen – ein höchst scharfes Schwert noch dazu. Mehr als einmal sind die Zwerge auf Dinge gestoßen, die nie dazu bestimmt waren, ans Licht gezerrt zu werden – und sei es nur das schwache Licht ihrer Fackeln und Laternen anstelle des sengenden Lichts der Sonne.
    Auch der Sippe, der Eisarn angehörte, bevor sie den Stab über ihm brach, wurde einst eine bittere Lektion über die Gefahren erteilt, die bei einem allzu beherzten Vordringen in die Welt unter der Welt lauern. Sie befreiten unabsichtlich den Slahis Sabba, den Plagenvater.
    Was ist der Plagenvater? Ein Gott, der trunken von seiner eigenen Macht nur noch seinen niedersten Gelüsten nachging und den das Ausleben seiner Triebe zu einer Ausgeburt des Zerfalls machte? Ein Dämon, der vom Anbeginn der Zeit an nur Hass für alles Schöne empfand und sich schwor, mit seinem ätzenden Samen die gesamte Welt zu vergiften? Eine einst unscheinbare und unschuldige Kreatur, die sich durch die Erde grub, bis sie auf ein großes Vorkommen von schwarzem

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