Heldin wider Willen
Kopf durch die Luft, und er zog sich ruckartig zurück.
Esmay drückte sich die Filter in die Nase und achtete darauf, 234
dass sie gut saßen; sie blickte forschend durchs Helmvisier.
Wenn der Rauch jede normale Sicht versperrte, vermittelten ihr die Helmsensoren ein wackeliges Bild des Korridors in falschen Farben. Sie schlich vorsichtig in den Rauch und hoffte, dass, wer immer auf sie geschossen hatte, er nicht über einen solchen Helm verfügte. Sie hatten geglaubt, den Schrank vor den Verrätern zu erreichen, aber keiner der Subalternoffiziere wusste, wie viele Helme normalerweise in diesem Schrank lagerten.
Weiter vorn lehnte jemand in einer offen stehenden Luke und hatte eine Waffe im Anschlag. Esmay konnte das Gesicht nicht sehen, aber mit einer Klarheit, für die die Außenaufnahme des Helms sorgte, hörte sie die Worte: »Erledigen wir diesen Haufen kleiner Arschlöcher, dann brauchen wir uns nur noch um Dovir Sorgen zu machen…«
Sie legte die eigene Waffe an und feuerte. Das wackelige Bild in Rosa und Grün wurde auseinander gerissen; etwas Feuchtes und Warmes klatschte ihr auf den Arm. Sie kümmerte sich nicht darum. Durch den dichten, brennenden Rauch glitt Esmay weiter, ganz auf die Eingaben der Helmsensoren konzentriert…
wobei sie wusste, dass Peli und die anderen ihr folgten, dass irgendwo Major Dovir immer noch die wenigen anderen loyalen Offiziere kommandierte …
Der Nebel lichtete sich in unregelmäßigen Fetzen … weiter vorn sah sie die versengten Linien auf den Schotten … Sie blickte nur zu Boden, wenn es sein musste, um nicht über die Hindernisse zu stolpern … aber sie nahm sie natürlich wahr.
Haufen alter Kleider, schmutzig und fleckig, hier und dort verstreut… Sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken, nein, das wollte sie nicht; später war noch früh genug…
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Sie erwachte schweißgebadet und mit klopfendem Herzen.
Später. Später war jetzt, wo sie in Sicherheit war. Sie schaltete die Bettlampe ein, lag da und starrte an die Decke. Das waren keine Kleiderhaufen gewesen; selbst damals schon war ihr das klar gewesen. Ihr Vater hatte nur zu Recht gehabt – der Krieg war scheußlich, egal wo er stattfand. Eingeweide und Blut und Fleisch stanken auf einem Raumschiff genauso wie nach einem Straßenkampf. Und sie selbst hatte zu diesem Gestank und dieser Grauenhaftigkeit beigetragen. Sie und die übrigen Subalternoffiziere hatten sich ihren Weg durchs Schiff
freigekämpft, bis auf die Brücke, wo der tödlich verletzte Dovir nach Hearnes Tod auf dem Kommandantenstuhl saß. Dovir,
dem die eigenen Eingeweide durch die Hände glitten, hatte ihr diesen einen glasigen Blick zugeworfen … Seine Stimme, um Selbstbeherrschung ringend, während er seine letzten Befehle erteilte …
Sie blinzelte und bemühte sich, nicht zu weinen. Sie hatte damals geweint; es hatte nichts genützt. Sie fühlte sich am ganzen Körper schleimig von dem inzwischen kalten und
glitschigen Schweiß; die Bettwäsche war feucht und rings um sie zu einem Wirrwarr verheddert.
Der Uhr zufolge hatte sie satte sieben Stunden geschlafen. Sie konnte versuchen, noch ein Nickerchen zuzulegen … aber die Erfahrung ließ vermuten, dass sie jetzt nicht mehr richtig schlafen würde. Lieber duschen gehen – es war gegen Ende der dritten Schicht auf diesem Schiff – und zeitig mit der Arbeit anfangen.
Niemand war in dem großen Duschraum; sie wärmte sich im
heißen Wasser auf und spülte damit den Gestank der Angst herunter. Als sie wieder auf den Flur hinaustrat, hörte sie 236
jemandes Wecker. Nicht ihren eigenen – den hatte sie
vorsichtshalber abgeschaltet. Dann ertönte weiter unten am Korridor ein weiterer Wecker. Esmay konnte in die eigene Kabine zurückkehren, ehe die Wecker wieder aufhörten zu
lärmen, und als sie erneut zum Vorschein kam, traf sie zwei Ensigns mit verschlafenem Blick an, die unterwegs zur Dusche waren, sowie einen Jig, der am Schott lehnte und die obere Klappe seines Uniformstiefels umschlug.
»Sir!«, sagten alle drei und nahmen eine mehr oder weniger aufrechte Haltung ein. Esmay nickte und sonnte sich im kurzen Glühen der Zufriedenheit, die entstand, wenn man früh aus den Federn kam, sich schon die Zähne geputzt hatte und feststellte, dass die eigenen Kameraden noch schläfrig waren.
Sie erlaubte sich nicht, lange dabei zu verweilen. Arbeit wartete auf sie – nicht nur das Schiff zu erkunden, wie es Major Pitak verlangt hatte, sondern auch herauszufinden, warum
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