Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)

Oberlippe.
    «Oder soll ich mal mit der Melcherin reden, ob sie noch wen braucht, vielleicht zum Nachrechnen, wie alt Pöcking wirklich ist?»
    «Bloß nicht.» Er schiebt die Hände in die Hosentaschen. «Der Fidl behauptet, ich selbst hätte den Schlüssel eingesteckt, also nicht ich als Fundbüroverwaltungsfachangestellter, sondern als Willi Privat, aber das stimmt nicht. Warum sollte ich so was tun? Gestern waren wir doch noch alle im Würmstüberl so lustig beieinandergesessen.»
    «Echt, wer war denn alles dabei?»
    «Ach, viele, du weißt schon. Der Ding, der Kraulfuß musste einen neuen Liebeskummer wegsaufen und der Wolfi natürlich.»
    «Was? Der auch?» Deshalb ist der so übermüdet und lässt seinen Grant an mir aus.
    Der Willi nickt. «Karten haben wir gespielt, und spät ist es geworden. Ich hab deinen Schwiegerpapi dann mit seinem Bus heimgefahren, weil er beim Bahnhofsrondell mit der Sisi-Statue nicht mehr aus dem Kreisel rausgekommen ist. Fährt sich eigentlich gar nicht so schlecht, die alte Chaisen.» Er wischt sich die Stirn. «Das ist jetzt der Dank.»
    «Dann fahr halt mal bei so einem Seniorenausflug mit, wenn du so gern im Bus hockst.» Auch dem Willi seine Eltern kutschiert der Fidl umeinander.
    «Bestimmt nicht. Ich vertrag keinen Kaffee, und noch dazu reicht es mir, dass die Mama dauernd fort ist und ich mir in der Mittagspause selbst was aufwärmen muss.» Er schlurft ins Rathaus zurück.
    «Weißt du wenigstens, wohin sie den Fidl bringen? Starnberg oder Tutzing?», ruf ich ihm hinterher.
    «Starnberg, hat es geheißen.»
     
    Nichts wie heim, mit meiner Liebsten telefonieren, meinem Schwiegervater ein paar Sachen zusammensuchen, nach der Emma schauen und ab ins Krankenhaus. Ich blinke nach links und entdecke die Trauerhilfe Denz und den Landkreistotengräber Bierbach, die parallel zur Hendlbude parken. Warum braucht es für eine Leiche gleich zwei Bestatter? Als ich den Wickerl zuletzt gesehen habe, war er trotz der Spieße noch durch und durch ganz. Ich atme auf, als ich nun Sophies Isetta zwischen den Mehrtürern stehen sehe. Endlich kümmert sich jemand Gescheites um den Hendlbrater. Dann kann ich meiner Frau ja gleich das mit der Emma und das mit ihrem Vater sagen. Auch wenn ich noch nichts Genaues nicht weiß. Ich will schon absteigen und zu ihr hochrennen, da merke ich, wie ihr der Jäger Wolfi die Ohren zuschwallt. Da brauche ich nicht noch dabeizustehen. Außerdem spielt er sich bestimmt gleich wieder mit den Handschellen auf. Trotzdem zuckt es mir schon in den Beinen, und ein bisschen zwickt es mich auch im Herzen, wenn ich die beiden so sehe. Die Sophie hat zwar mich geheiratet, und nicht ihn. Obwohl er sie damals mit Geschenken und Komplimenten nur so überhäuft hat und das Charivari am Ende größer war als sie selbst. Aber wenn er ihr doch noch zu nahe rückt? Aber die Sophie hält ihn sich schon vom Leib. Schwarzer Gürtel in Karate. Ihr Handkantenschlag sprengt Granit. Ich glaube, sie kann ihn so wenig leiden wie alle anderen. Hoffe ich zumindest. Und dann ruf ich sie gleich von zu Hause an.
     
    Also biege ich rechts ab und fahre durch den Schulweg zurück zu uns, auch wenn das eigentlich nur für Anwohner erlaubt ist. Die sitzen vor ihren Gucklöchern und schreiben jeden Fremddurchfahrer auf. Mein altes Nummernschild war durchgerostet und so abgeblättert, dass ich mir ein neues gemalt habe: grüne Schrift auf einer weißen Holztafel. Ob eine Drei oder eine Acht oder eine weiche Fünf, das hab ich vor lauter Braun nicht mehr lesen können, also hab ich so eine Allroundzahl hingepinselt, wie sie im Schnelldurchlauf an der Diesel-Zapfsäule erscheint. Ich schalte den Scheibenwischer ein, überall klebt noch die Spucke vom Jäger Wolfi, winke so den Plattnasennotierern, und genieße für ein paar Meter die Aussicht über die blühende Obstbaumwiese zum Starnberger See hinunter. Die ganze Alpenkette kriegst du von hier aus zu sehen. Herrlich! Dann verschluckt mich die enge Schulwegkurve, und im Schatten von St. Pius und den hohen Bäumen komm ich ins Sinnieren. Den Schlüssel kann der Fidl im Rausch doch überall verloren haben. Wahrscheinlich war das Rumoren auch nur in seinem Kopf heute Nacht. Aber andererseits hat’s die Emma auch gehört. Nur ich nicht, das wurmt mich. Und warum ist der Fidl nur so auf den Pflaum junior fixiert? Da, als ich den Blinker setzen will und bei der Habsburgvilla in die Hindenburgstraße einbiegen möchte, merk ich, dass ich ihn noch gar