Henry haut ab: Roman (German Edition)
ist, fühlt sie sich wohl auch ein bisschen schuldig, nehme ich an. Bestimmt schläft sie noch vor dem Essen ein.«
»Sie ist offensichtlich Alkoholikerin«, stellte Wilt fest.
Mrs. Bale lächelte.
»Und eine Nymphomanin. Deshalb hat sie ja ein Auge auf Sie geworfen! Ich hab’s Ihnen ja gesagt, sie ist rollig … Ich meine, ihr Alter kann nichts für sie tun – er findet sie zu dünn –, und abgesehen davon ist er ja selbst ein schwerer Trinker. Und er isst so scheußliche Sachen … So was wie das hier würde er niemals essen, solange das Huhn nicht mit irgendetwas gefüllt wäre und keine Pommes dabei wären.«
»Hört sich schlimm an. Aber sie sollte es lieber nicht bei mir versuchen.« Wilt hielt es für das Beste, Mrs. Bale nichts von der Begegnung zu erzählen, die er bereits mit Lady Clarissa gehabt hatte. »Eva … das ist meine Frau … würde sie umbringen. Sie hat mich schon gewarnt, irgendwelche ›Techtelmechtel‹ anzufangen, wie sie es nennt. Ich frage mich nur, warum Sie eigentlich hierbleiben?«
»Na ja, wie gesagt, seit mein Mann gestorben ist, habe ich kaum ein Einkommen. Das einzig Gute, was ich über die beiden sagen kann, ist, dass sie reich genug sind, um mich gut zu bezahlen. Also ertrage ich ihre Unhöflichkeit. Und ich habe eine Schwäche für Ihre Ladyschaft. Vielleicht weil ihr erster Mann so umgekommen ist … oder eher, weil er genauso gestorben ist wie meiner. Sie hat kein angenehmes Leben, das weiß ich.«
»Ich versuche verzweifelt, Eva zu erreichen und sie davon abzubringen, in dieses Irrenhaus zu kommen, aber ich will nicht, dass einer von den beiden mithört.«
»Warum nehmen Sie dann nicht das Telefon in seinem privaten Badezimmer? Ich kann es für Sie aufschließen und Schmiere stehen, wenn Sie wollen.«
Trotz eines unguten Gefühls im Bauch stimmte Wilt zu. Nach dem Abendessen fand er sich in Sir Georges privatem Badezimmer wieder, das wie versprochen mit Telefon und Computer und auch mit einem großen Aktenschrank ausgestattet war, vor dem ein Vorhängeschloss hing. Zu Wilts Abscheu waren die Wände mit Zeichnungen von obszön fetten Frauen bedeckt, die wer weiß was taten. Er fand es schwierig, sich vorzustellen, dass er umgeben von solch grausigen Bildern mit Eva sprechen sollte. Doch er hätte sich gar keine Sorgen machen müssen: Wieder meldete sich niemand auf ihrem Handy.
Er verließ das Badezimmer und winkte Mrs. Bale zum Dank zu. Dann ging er in die Eingangshalle, öffnete die Haustür und stand auf der Zugbrücke, wo er nachdenklich in den grünen Schleim auf der Oberfläche des Grabens blickte. Wo um Himmels willen steckte seine Frau? Es war schon früher Abend – sie musste die Vier inzwischen längst abgeholt haben.
Er beschloss, vor der Tür zu warten, falls Edward zurückkam. Wilt wollte ihm eine sehr zweckdienliche Frage stellen. Es dauerte nicht lange, bis er den Jungen erblickte, der über den Rasen schlenderte und in der einen Hand achtlos das Gewehr schwenkte. Die andere steckte in der Hosentasche. Wilt schickte sich an, sich vorsichtig ins Haus zurückzuziehen.
»Alles in Ordnung. Das Ding hat kein Magazin, und meine Munition ist alle. Hab ein Wildschwein geschossen oder so was. Hab’s aber nicht erlegt. Konnte seinen Kopf nicht sehen. Aber ich hab’s zu Fall gebracht. Muss es am Bein erwischt haben, glaub ich.«
Wilt trat wieder auf die Zugbrücke hinaus.
»Warum bringst du dieses eklige Gewehr nicht zurück in den Waffenschrank? Wenn dein Vater dich damit erwischt, ist hier mächtig was los. Außerdem will ich dich etwas fragen.«
»Haben Sie etwa Angst vor Gewehren oder so was? Außerdem ist es nicht eklig. Ich wische es immer ganz sauber, bevor ich es zurückbringe.«
Edward ging ins Haus, vermutlich ins Arbeitszimmer. Dann kam er zurück und schwenkte noch immer das Gewehr an seiner Seite.
»Was wollen Sie denn wissen?
»Ganz einfach. Möchtest du auf die Universität gehen? Weil, wenn du willst …«
»Natürlich nicht. Das ist alles Mutters Idee. Die Schule war schon schlimm genug, abgesehen von Sport. Ich war ein ziemlich guter Boxer, bis die gesagt haben, ich muss aufhören, weil ich immer die Sextaner verprügeln würde. Nein, die Universität stelle ich mir wie die Hölle vor. Ich weiß, sie faselt andauernd davon, aber ich gehe da nie im Leben hin.«
Wilt seufzte erleichtert.
»Wenigstens bist du ehrlich«, sagte er. »Also, was willst du wirklich werden?«
»Ich will zur Army. Schließlich bin ich ein guter Schütze,
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