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Herbst - Ausklang (German Edition)

Herbst - Ausklang (German Edition)

Titel: Herbst - Ausklang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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dass du vergessen hast, wie sie sind?«
    Die Erwähnung der Insel ließ Michael innehalten und überlegen. Wieso zum Geier vergeudete er eigentlich hier Zeit? Er sollte zurück auf Cormansey bei Emma sein, nicht mit einer Handvoll Idioten in unterirdischen Verliesen voller Leichen.
    »Das hier ist anders«, sagte er. » Die sind anders. Ich weiß ja nicht, was für Erfahrungen du gemacht hast, Howard, aber ich habe beobachtet, dass sich die Toten stetig verändern – ständig –, und zwar schon von Anfang an. Ihre Kontrolle über sich hat sich verbessert, während die Körper verwesten. Das ergibt zwar keinen Sinn, und ich kann es nicht erklären, aber genau das ist passiert. Das musst du doch auch gesehen haben.«
    »Klar, das haben wir alle gesehen«, ergriff Harte das Wort. »Aber warum sollten die hier unten anders sein?«
    Eine der Leichen an der nächsten Wand zuckte unwillkürlich und ließ Harte zusammenschrecken. Seine plötzliche Bewegung löste eine weitere Reaktion aus, diese wiederum noch eine. Innerhalb weniger Momente war praktisch eine gesamte Wand voll verrottendem Fleisch unangenehm belebt geworden. Michael stellte sich vor Harte, streckte die Arme zu beiden Seiten aus und bildete so eine Barriere zwischen den Lebenden und den Toten. Es war schwer zu glauben, aber nach wenigen Sekunden schienen die Leichen vor ihm wieder ruhiger zu werden.
    »Seht ihr?«, sagte er. »Die wollen genauso wenig kämpfen wie wir. Über diese Phase sind sie inzwischen längst hinaus.«
    »Das verstehe ich nicht«, kam von Caron, die sich in die Mitte der Sechsergruppe zwängte, sodass sie ringsum von ihren Gefährten geschützt war. Sie wollte keinem der Toten den Rücken ungeschützt präsentieren. »Das ergibt überhaupt keinen Sinn.«
    »Ergibt es wohl«, widersprach Michael. »Wie ich schon sagte, als sich dieser Jackson den Weg hier durch gebahnt hat, muss er diesen Haufen hier reingelassen haben. Die Bedingungen hier sind anders als draußen – die Luft ist trockener, die Temperatur beständig, es gibt kaum Feuchtigkeit, kein Licht ... Sie werden konserviert. Was sich in ihren Gehirnen abspielt, hat sich im selben Tempo wie seit ihrem Tod fortgesetzt, aber hier unten vollzieht sich der körperliche Verfall viel, viel langsamer.«
    »Blödsinn«, befand Howard. Michael ignorierte ihn – er wusste, dass er recht hatte.
    »Schaut«, sagte er. Im Verlauf der letzten Monate hatte er mehr als genug Leichen aus nächster Nähe gesehen, um ohne jeden Zweifel zu wissen, dass an diesen etwas völlig anders war. Er leuchtete mit der Taschenlampe über einige, die sich am nächsten befanden. Langsam schwenkte er den Strahl und blieb dabei in Brusthöhe, statt direkt die Gesichter anzuvisieren, um keine weitere spontane Reaktion heraufzubeschwören wie zuvor Harry. Eine der Kreaturen zu seiner Rechten war anders gekleidet als die übrigen. Sie trug die Uniform einer Krankenschwester. Er musste zweimal hinsehen, um sich zu vergewissern, so verfärbt hatte sich der Stoff durch verschiedenste Körperflüssigkeiten. Ein Großteil des stark verschmutzten Materials war getrocknet und steif wie Karton. Behutsam schob er einen Lappen beiseite, die Überreste einer Weste oder leichten Jacke, er konnte es nicht erkennen.
    Die Leiche hatte ein Namensschild an der Brusttasche. Einen Moment lang blickte er in das verschrumpelte Gesicht, fast so, als wolle er um Erlaubnis fragen, dann löste er das Abzeichen. Er wischte eine Deckschicht weg und legte darunter ein etwa zweieinhalb mal zweieinhalb Zentimeter großes Foto eines Frauengesichts frei. Durch die schlechte Beleuchtung gingen die Details verloren. Michael kniff die Augen zusammen und versuchte, sie besser zu erkennen. Sie sah wunderschön aus – das erste präapokalyptische Gesicht, das ihm seit Langem unterkam –, und ihr Lächeln überraschte ihn. Es war ein von Krankheit unbeflecktes Gesicht, unangetastet von Verwesung und auch von der Anspannung, die damit einherging, die Hölle durchzumachen, wie es er und die anderen Überlebenden seit dem ersten Tag taten. Ihr kurzes, dunkles Haar war zu einem gepflegten Bubikopf geschnitten, einige Strähnen hatte sie übers Ohr zurückgestrichen. Sie trug eine eckige Brille mit dicker Fassung, die perfekt zur Form ihrer sanften, fein geschnittenen Züge passte. Aber wovon er den Blick nicht lösen konnte, waren ihre Lippen. Herrliche, volle, dunkelrote Lippen. Dass sie Make-up trug, überraschte ihn, obwohl es keine Überraschung

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