Hercule Poirot schläft nie
von allen Sorgen, hoch über der Welt. Er faltete seinen Mantel ordentlich zusammen, legte ihn auf einen Baumstumpf und setzte sich.
»Zweifellos weiß le bon Dieu, was er tut. Aber es ist k o misch, dass er es sich gestattet hat, gewisse menschliche Wesen zu erschaffen. Eh bien, hier bin ich wenigstens für eine Weile weg von allen quälenden Fragen.« So oder ähnlich überlegte er.
Plötzlich fuhr er herum. Eine kleine Frau in braunem Mantel und Rock kam auf ihn zugelaufen. Es war Marj o rie Gold, und diesmal verstellte sie sich nicht mehr. Ihr Gesicht war nass von Tränen.
Für Poirot gab es kein Entkommen. Schon stand sie vor ihm. »Sie müssen mir helfen, Monsieur Poirot! Mir ist so elend zumute, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ach, was mache ich nur? Was mache ich nur?«
Sie sah ihn mit gequältem Gesicht an und klammerte sich an seinen Ärmel. Dann, als sie seine abweisende Miene sah, wich sie betroffen ein wenig zurück.
»Was – was haben Sie?«, stammelte sie.
»Wollen Sie meinen Rat, Madame? Fragen Sie mich um Rat?«
»Ja… ja…«
»Eh bien – ich geben ihn Ihnen.« Seine Stimme war schneidend. »Verlassen Sie die Insel – ehe es zu spät ist.«
»Wie bitte?« Sie starrte ihn verblüfft an.
»Sie haben es gehört. Verlassen Sie die Insel.«
»Die Insel verlassen?«, echote sie.
»Genau das sagte ich.«
»Aber warum – warum?«
»Das ist mein Rat – wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.«
Sie seufzte. »Was meinen Sie damit?«, rief sie. »Sie jagen mir Angst ein – ja, Sie machen mir Angst.«
»Genau das ist meine Absicht.«
Sie sank zu Boden und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Aber das ist unmöglich! Er kommt nicht mit! Douglas würde nicht mitkommen. Sie würde es nicht zulassen. Sie hat zu viel Macht über ihn – über seinen Körper und seine Seele. Er duldet nicht, dass man etwas gegen sie sagt. Er glaubt ihr jedes Wort – alles! Dass ihr Mann sie schlecht behandelt… dass er sie missversteht, dass sie wehrlos ist… dass kein Mensch sie versteht. Er denkt schon gar nicht mehr an mich… ich zähle nicht… ich existiere für ihn nicht mehr. Ich soll ihm seine Freiheit wiedergeben, mich scheiden lassen. Er bildet sich ein, dass sie sich scheiden lässt und ihn dann heiratet. Aber ich glaube… Chantry wird sie nie hergeben. Er ist nicht der Typ. Gestern Abend zeigte sie Douglas die Druckste l len auf ihrem Arm… angeblich hat ihr Mann es getan. Douglas war außer sich. Er ist so ritterlich… ach, ich habe solche Angst! Was soll bloß werden? Sagen Sie mir, was ich tun soll!«
Hercule Poirot stand da und blickte über das Wasser bis zu der blauen Linie der Hügel des asiatischen Festlands.
»Das sagte ich schon. Verlassen Sie die Insel, ehe es zu spät ist.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich kann nicht – ich kann nicht… nur wegen Dou g las…«
Poirot seufzte und zuckte mit den Schultern.
»Das Dreieck wird immer deutlicher«, sagte Pamela Lyall nicht ohne eine gewisse Befriedigung. Sie und Hercule Poirot saßen am Strand. »Gestern Abend, als die drei zusammen waren, belauerten sich die Männer ständig. Chantry hatte zu viel getrunken. Er hat Gold richtig b e leidigt. Gold benahm sich sehr ordentlich und verlor nicht die Beherrschung. Diese Valentine genoss die Situ a tion, klar. Schnurrte wie eine menschenfressende Tigerin, und das ist sie ja auch. Was glauben Sie, Monsieur Poirot- was passiert nun weiter?«
»Ich fürchte, ich fürchte…« Poirot schüttelte den Kopf.
»Ja, ja, wir alle machen uns Sorgen«, antwortete Miss Lyall scheinheilig. Und fügte hinzu: »Aber die Sache fällt mehr in Ihr Fach. Oder vielmehr wird in Ihr Fach fallen. Können Sie denn nichts unternehmen?«
»Ich habe getan, was in meiner Macht steht.«
Miss Lyall beugte sich eifrig vor. »Was haben Sie denn unternommen?«, fragte sie mit einem angenehmen Schauder.
»Ich riet Mrs Gold abzufahren, ehe es zu spät sei.«
»Hm – aha – Sie glauben also…« Sie schwieg.
»Nun, Mademoiselle?«
»Also, Sie glauben, dass das passieren wird!«, sagte P a mela zögernd. »Aber er kann doch nicht… so was würde er nie… Er ist so reizend, wirklich. Daran ist nur diese Chantry schuld. Er würde nie… niemals – «
Sie schwieg. Und dann meinte sie leise:
»Mord? Ist das – wirklich, denken Sie tatsächlich an so was?«
»Jemand denkt dran, Mademoiselle. Das kann ich Ihnen versichern.«
Pamela fröstelte plötzlich. »Ich glaube es nicht«, erklärte sie.
Die
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