Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
Gegnerin. Auch jetzt, im Schlaf, furchte Kiretta die Stirn. Sie bewegte sich träge, deutete Armbewegungen an, die der Versuch sein mochten, den Kopf vor Schlägen zu schützen. Es wirkte hilflos, vielleicht, weil die rechte Hand fehlte. Wenigstens schwitzte Kiretta nicht mehr.
»Quält dich die Erinnerung?«, murmelte Nalaji. Sie kannte eine Liturgie, mit der man Silions gnädiges Silberlicht erflehte, um die Erregung eines träumenden Verstands zu dämpfen. Konnte sie es wagen, hier eine Anrufung durchzuführen?
Sie lächelte über sich selbst, als sie den Kopf schüttelte. Natürlich nicht. Nicht in Orgait, und erst recht nicht in ihren eigenen Räumlichkeiten, die sich im Diplomatenflügel des Palasts des Schattenkönigs befanden. Das wäre so, als würde man auf freiem Feld in finsterster Nacht einen Scheiterhaufen entzünden. Kiretta würde warten müssen, bis sie sich das nächste Mal außerhalb der Stadt versammelten.
»Auch mir rauben dunkle Gedanken den Schlaf«, seufzte Nalaji. »Es ist schwer, in einem Krieg zu sein und nicht kämpfen zu können.«
Aber das stimmte nicht. Sie kämpfte ja, mit ihren Mitteln. Doch die Voraussetzung dafür war, unauffällig zu bleiben. »Auch wenn sich der Gemahl mit einem Schattenherrn trifft und der Sohn durch Wildnis und Kriegsgebiet reist.«
Kiretta war auf ihre Art schön. Man sah es nicht sofort, wenn man die gepflegten Gesichter der Hofdamen gewohnt war. Kiretta war nicht mit Puderquasten, Salben und maßvoller Magie verschönert worden. Bei ihr hatten die Elemente alles Überflüssige weggeschnitzt. Ihre Züge hatten etwas Entschlossenes. Das unterschied sie von Orgaits Hofdamen.
»Hast du Kinder?« Einen Moment wartete Nalaji, als hätte Kiretta antworten können. »Ich hatte zwei. Eines habe ich verloren, meinen älteren Sohn. Ajjor war ungestüm, wie sein Vater. Er wollte ein Paladin werden, aber die Ausbildung überforderte seine Geduld. Es zog ihn in den Kampf. Er suchte Gerechtigkeit und fand den Tod. Eine Seeräuberin wird kaum verstehen, wie man für etwas kämpfen kann, das keinen Reichtum verspricht. Aber jede Mutter kann nachfühlen, wie es ist, das eigene Kind zu begraben. Eine unscheinbare Wunde streckte Ajjor nieder. Ein Pfeil ist in seinen Unterleib gedrungen. Seine Kameraden sagen, er hat sich gar nicht darum gekümmert, hat weiter gefochten. Hätte er sich vom Schlachtfeld tragen lassen, hätte der Pfeil ihm vielleicht nicht den Darm zerrissen. Dann würde er noch …«
Sie lächelte freudlos, als sie bemerkte, dass sie Kirettas Hand ergriffen hatte. Wollte sie der Verwundeten Trost spenden oder suchte sie selbst Halt?
»In Keliator brennt das gleiche Feuer. Nicht so verzehrend, nicht so hell, aber genauso heiß. Ich hoffe, er lässt sich nicht hinreißen. Er muss nach Ilyjia zurück, zur Dreifach Gepriesenen, zu seinem Ordensmarschall und zur Königin. Der Geleitbrief der Schattenherren wird ihm helfen, aber wenn er in die Hände der Fayé fällt … Auch du bist in die Hände eines Fayé gefallen, willst du sagen? Ja, aber nicht in die eines echten. Nicht in die eines Unsterblichen. Für jene, die ewig leben, sind wir nicht mehr als Tiere. Manchmal sind sie gut zu uns, hätscheln einen Menschen wie einen niedlichen Hund. Aber am Ende zählen wir nicht.«
Sie griff sich ans Herz, fühlte die Schnelligkeit seines Schlags.
»Mein Gemahl trifft sich gerade mit einem von ihnen, weißt du? Natürlich mit einem Osadro, nicht mit einem Fayé. Manche von ihnen sind unzufrieden. Der Sohn eines sterblichen Grafen kann hoffen, seinen Vater eines Tages zu beerben, aber die Schattenherren sind unsterblich. Hier ist die Zeit kein Gärtner, der ab und zu ausdünnt. Auch der niederste Schattenbaron ist ewig. Eine Ewigkeit als Untertan eines missgünstigen Grafen findet nicht jeder erstrebenswert.«
Anderen war nicht recht, wie mit den Menschen in Orgait umgegangen wurde. Nalaji wusste von keinem Osadro, der sich jemals für eine mildere Behandlung eingesetzt hätte, aber in der anderen Richtung gab es viele Stimmen. Diese forderten meist auch eine zügigere Eroberung der noch freien Welt.
Aus welchen Gründen auch immer Schattenbaron Lukol unzufrieden sein mochte, er war bereit, den Menschen Zugang zu einem der schwer bewachten Silberlager zu gewähren, und deswegen traf sich Narron mit ihm.
»Aber er sollte längst zurück sein«, flüsterte Nalaji. Zwei Kerzen waren seit seinem Aufbruch vollständig heruntergebrannt, eine dritte zur
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