Herr Klee und Herr Feld | Roman
der Mensch haben.
Der Mensch schon, sagte Moritz, aber nicht mein Bruder!
Sie denken nicht gut über ihn, sagte sie.
Doch. Er ist im Innersten ein guter Mensch. Aber das weiß nur ich.
Die beiden standen im Hauswirtschaftsraum, der neben der Küche lag und eine Tür zum Garten hatte.
Montags ist Waschtag, aber wenn Sie das ändern wollen …
Nein, ist okay.
Soll ich Ihnen die Waschmaschine erklären?
Komme schon klar.
Zamira schaute sich kurz die Waschmaschine an.
Ist einfach.
Dienstag hat unsere Haushälterin gebügelt. Mittwoch hat Frau Stöcklein vorne gründlich geputzt, Donnerstag hinten. Und am Freitag hat sie Schabbes vorbereitet.
Schabbes?
Sabbat. Oder Shabbat. Freitagabend. Ich helfe Ihnen dabei. Oder macht es Ihnen etwas aus? Also, falls es Ihnen unangenehm ist, ich meine, weil Sie als Mohammedanerin …
Werde ich überleben, sagte sie.
Moritz saß in seinem Arbeitszimmer hinter seinem Computer und tippte, als Alfred eintrat. Er trug seinen Trenchcoat.
Ich gehe in die Stadt. Soll ich dir was mitbringen?
Die Süddeutsche. Ist ein Artikel über Moses Mendelssohn drin.
Mach ich, sagte Alfred und wandte sich zum Gehen.
Ach, Freddy, sagte Moritz, um eins wird gegessen. Nur eine Kleinigkeit, bis Zamira sich gewöhnt hat.
Alfred sah seinen Bruder an.
Schlimm, wie du das arme Ding verunsicherst mit deinem Aberglauben. Sie hat bestimmt Angst, was falsch zu machen: koscher–trejfe, milchig–fleischig, Cholesterin–cholesterinfrei!
Du übertreibst mal wieder schamlos!, sagte Moritz, aber du kannst gern in der Stadt essen. Ich werde dir nichts vorschreiben.
Wie generös! Du wirst lachen, ich esse in der Stadt. Eine saftige Schweinshaxe mit Speckkartoffeln! Shalom, shalom!
Alfred spazierte die Bockenheimer Landstraße entlang in Richtung Opernplatz. Hier um die Ecke hatte doch Simon Plessner gewohnt, ein Klassenkamerad. Nach dem Abitur hatte er sich auf Druck seiner Eltern für Jura entscheiden müssen. Das war was Handfestes, nicht Psychologie, so ein brotloser Quatsch. Im Irrenhaus arbeiten! Was der alte Plessner beruflich machte, war ein Geheimnis. Vermutlich auch für ihn. Den Plessners ging es mal gut, mal schlecht. Mal lebten sie über, mal unter ihren Verhältnissen. Mal hatten sie ein großes amerikanisches Auto, mal gingen sie zu Fuß. Mal spendeten sie beim WIZO -Ball ein Vermögen, dann mussten sie wieder von der Jüdischen Wohlfahrt unterstützt werden. Die Mutter, einen Kopf größer als der Vater und stimmlich eine Oktave tiefer, war stets besorgt um ihren einzigen Sohn und Simon rannte mitunter zwei- bis dreimal am Tag in eine Telefonzelle, um zu Hause anzurufen. Der Umgang ihres Sohnes mit Alfred war den Eltern angenehm. Der junge Herr Kleefeld wusste sich zu benehmen, war ein intelligenter Mensch, das konnte nicht schaden. Erst als Alfred sich für die Schauspielerei entschied, unterband die Mutter den weiteren Kontakt. Simon lebte noch mit über dreißig bei seinen Eltern, in seinem Zimmer mit der Micky-Maus-Tapete.
Es gab kaum noch Häuser aus Alfreds Jugendzeit. Auch das Haus, in dem sie mit ihrer Mutter gelebt hatten, war in den Siebzigern ein Opfer des Baubooms geworden, als im Westend die Bürohäuser und die Hoffnungen in den Himmel wuchsen. Zahlreiche Imbissbudenbesitzer oder Textilhändler waren zu Immobilienkönigen geworden, hatten sich in dieser bürgerlichen Ecke Frankfurts ihre Denkmäler aus Stahlbeton errichtet. Zu diesen talentierten Geschäftsleuten gehörte auch Max Holzmann, der irgendwann seinen Wäschehandel aufgegeben hatte, um sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, ein schwerreicher Mann zu werden.
Bevor er zum Opernplatz kam, erinnerte sich Alfred an das Postamt Ecke Niedenau, den Zeitungskiosk, wo er einst seine Comics kaufte, das Fotogeschäft, dessen Eigentümer irgendwann erschossen worden war, die Bäckerei, wo es die besten Kreppel gab, und an der Ecke Fisch-Krembsler. Daran hatte Alfred zwiespältige Erinnerungen. Im Laden gab es ein großes Becken, wo man sich die lebenden Fische ansehen und aussuchen konnte. Man zeigte auf einen, Herr Krembsler fischte ihn mit einem Netz heraus, schlug dem zappelnden Karpfen auf den Kopf und das war’s. Eine Selektion wie in Auschwitz – auf solche Gedanken konnte man kommen bei dem Anblick. Es wurde ihm wehmütig ums Herz, als er stehen blieb, um sich die wenigen verbliebenen Fassaden der Gründerzeithäuser anzusehen und Menschen an ihm vorbeihasteten. Da wurde ihm bewusst, dass er
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