Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
zwischen seinen Backenzähnen verkantet hatte und sich trotz intensivster Arbeit mit der Zungenspitze keinen Millimeter verrücken ließ. Während der Fickel jetzt mit dem Fingernagel sein Glück probierte und der Amthor sich noch nachträglich auf Fickels Kosten eine rote Grütze mit Vanillesoße bestellte, nutzte der Hager die Gelegenheit, um sich möglichst tief in den Hintern seiner Mentorin zu bohren: Durch den Tod der Kminikowski war am Amtsgericht überraschend eine Planstelle frei geworden, und der Hager hoffte jetzt natürlich, endlich auf Lebenszeit ernannt zu werden, nach der Rekordzeit von sage und schreibe fünf Jahren als Proberichter. Die Driesel versprach, diesbezüglich alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, was dem Hager buchstäblich die Tränen in die Augen trieb vor Dankbarkeit.
»Nu machen Sie sich mal nich’ in die Hosen!«, beruhigte ihn die Driesel. »Versprechen kann ich sowieso nix.«
Das Amt des Direktors sollte nämlich nun der Ermittlungsrichter Leonhard kommissarisch von der Driesel übernehmen – also genau derjenige Kollege, der erst kürzlich die versöhnliche Rede zum Festbankett gehalten hatte. Kaum dass der Leonhard die alte Rivalität mit der Driesel feierlich begraben hatte, war nun auch deren Nachfolgerin so gut wie begraben, und der Leonhard wurde auf seine alten Tage doch noch Amtsgerichtsdirektor. Wer hätte das gedacht!
Genau genommen gab es also schon zwei Richter, die karrieremäßig vom gewaltsamen Tod der Kminikowski profitieren würden, die jedoch ihre Freude darüber natürlich nicht so ostentativ zeigen durften, weshalb der Hager seit dem tragischen Vorfall auch nur noch mit nachtblauer, beinahe schwarzer Krawatte herumlief.
Allein die Driesel hatte wegen dieser Mordgeschichte nichts als Ärger am Hals. Sie musste in den letzten Tagen ihres aktiven Richterdienstes nicht nur das Dezernat der Kminikowski zusätzlich übernehmen und deren bockbeinigen Referendar ausbilden, sondern zu allem Überfluss parallel den Leonhard als Direktor einarbeiten und den Hager in die Feinheiten des Betreuungsrechts. Das hatte sie sich wahrlich anders vorgestellt.
Der Amthor bewies mal wieder fehlende Sensibilität, als er dem Hager nun bei roter Grütze und Vanillesoße mit den Worten gratulierte: »Dann hoffen wir mal, dass es Ihnen nicht so ergeht wie Ihrer Kollegin!« Allerdings war er der Einzige, der über seinen geschmacklosen Scherz lachte. Denn die Bestürzung über das Verbrechen war schließlich allenthalben noch frisch. Dem Hager verging beim Gedanken an das »grrrauenvolle Ende« seiner Kollegin vor Pietät glatt der Appetit, den er angesichts des Falschen Hasen auf seinem Teller gerade erst unter Aufbietung seiner gesamten Willenskraft entwickelt hatte. Schließlich hatte er die Kminikowski fachlich immer »sehrrr geschätzt«, aber besonders auch »perrrsönlich«.
Es liegt in der Natur der Sache, dass Richter eher Einzelkämpfernaturen sind. Trotzdem respektiert man sich untereinander, geht zuweilen zusammen essen oder networkt auf die eine oder andere Weise. Besonders die jungen Richter halten einen guten Kontakt untereinander, auch in Ermangelung anderer Gesprächspartner. Denn im Unterschied zu prosperierenden, kinderreichen Gegenden geht man heutzutage im Meininger Straßenbild als Enddreißiger oder Fourty-something geradezu als Jungspund durch. Wer’s nicht glaubt, muss nur mal zur Mittagsstunde seinen Blick durchs Schlundhaus schweifen lassen, wo Best und Silver Ager fast unter sich sind und sich die Wänste vollschlagen.
Was sich heute kaum noch einer vorstellen kann: Früher, also in tiefsten DDR -Zeiten, verfügte Meiningen mal über sechsundzwanzigtausend Einwohner, die Russen in den Kasernen nicht mal mitgerechnet – insgesamt also fast eine Großstadt, jedenfalls für Südwestthüringer Verhältnisse. Inzwischen sind es mit Beide-Augen-Zudrücken gerade noch einundzwanzigtausend Übrig- oder Hängengebliebene, Tendenz rapide sinkend. Und unter jenen fünftausend, die weg sind, befinden sich gefühlt viertausendneunhundert Mädchen und Frauen im Alter zwischen sechzehn und neununddreißig Jahren, im Klartext das gesamte Gebärpotenzial der Stadt. Da musste man wahrlich kein Prophet sein, um zu dem Schluss zu kommen, dass die windschiefe Form der Bevölkerungspyramide irgendwo auch der Richterin Kminikowski zum Verhängnis geworden war, gerade im Wonnemonat Mai.
Der Hager wusste zu dem Fall noch ein hochinteressantes Detail zu berichten,
Weitere Kostenlose Bücher