Herz des Winters (German Edition)
weitere Ewigkeit durch das Moor marschiert. Berekhs Eindringlichkeit machte jedoch deutlich, dass ihr Aufenthalt hier nicht zur Debatte stand.
„Sprich kein Wort“, riet er ihr leise. „Auch dann nicht, wenn du angesprochen wirst. Alles, was du sagst, wird gegen dich verwendet werden.“
Automatisch nickte sie, ohne zu bedenken, dass er sie nicht sehen konnte. Noch einmal tief durchatmend wappnete sie sich gegen die Dinge, die sie im Inneren des Gebildes erwarten mochten, zog Berekh aus dem Beutel und hielt ihn vor sich wie ein schützendes Schild. Dann duckte sie sich unter dem Wurzelwerk hindurch, das den Türstock bildete, und trat in die Dunkelheit.
Es war, als wären ihre Sinne ausgelöscht worden. Kein Feuer erhellte den Raum, doch das war nicht alles. Es war weder warm noch kalt, es roch nicht nach Rauch oder Erde oder irgendetwas sonst und die Stille verschluckte sogar ihre eigenen ängstlichen Atemzüge. Selbst Berekhs Glühen war erloschen.
Gerade als sie dachte, die Panik nicht länger ertragen zu können und dem Drang nachgeben zu müssen, hinauszustürmen (obwohl sie mittlerweile jede Orientierung und somit jedes Gefühl dafür, wo hinaus überhaupt lag, verloren hatte), erklang ein Wispern direkt neben ihr.
„Ein Kind bringt er uns.“
„Eine Genarbte.“
„Unberührt.“
„Blutgetränkt.“
„Aber nicht magisch.“
„Nein, ganz und gar nicht.“
Obwohl die Stimmen einander überlappten und jede aus einem anderen Winkel des Raumes zu kommen schien, war Daena beinahe sicher, dass alle denselben Ursprung hatten. Was die Wirkung dieses unheimlichen Schauspiels aber in keiner Weise schmälerte.
„Sie ist es nicht, die euch der Rabe gebracht hat“, hörte sie nun Berekhs Bariton, der einen deutlichen Kontrast zu dem hellen Wispern zuvor bildete.
Mit einem Mal flammte Helligkeit rings um sie herum auf, sodass Daena schützend eine Hand vor die Augen schlug. Auch die anderen Sinneseindrücke erwachten wieder zum Leben und enthüllten einen Raum, der mindestens viermal größer war, als das gesamte Gebäude von außen her gewirkt hatte. Dennoch zweigten unzählige Gänge und Türen davon ab. Alles war einheitlich mit dunklem Marmor gehalten, der zu filigranen, meisterhaft ausgeführten Reliefs und anderem Zierrat gemeißelt war. Überall flackerten kleine Feuer in unnatürlichen Blau-und Grüntönen.
All das wurde dominiert von einer einzigen Person, die nur wenige Meter vor ihnen aufragte. Die Frau war groß und schlank, doch an den richtigen Stellen bemerkenswert großzügig ausgestattet, was von dem Schnitt ihres Kleides noch betont wurde. Wie schwarze Spinnenseide schmiegte es sich an ihre Kurven und enthüllte auch einen der wohlgeformten Schenkel. Das rabenschwarze Haar umrahmte ein delikates Gesicht, ehe es einem lockigen Wasserfall gleich über den Rücken fiel.
Sie zog einen Schmollmund und kam mit wiegendem Schritt auf Daena und Berekh zu, wobei ihr Blick den Schädel fixiert hatte.
„Mein lieber Freund“, gurrte sie. „Wie unhöflich von dir, dich hinter einem Gör zu verstecken.“ Damit streckte sie ihm erwartungsvoll eine Hand entgegen, die er unterwürfig einem Handkuss gleich mit den Zähnen berührte. Daena bebte vor Zorn, doch sie wusste nicht einmal, gegen wen sie ihn richten sollte. Abgesehen davon brannte ihr Berekhs Warnung noch im Gedächtnis, sodass sie sich auf die Zunge biss, um die Worte, die sich ihr aufdrängten, im Keim zu ersticken.
„Kraja“, grüßte er die dunkle Schönheit. „Es überrascht mich nicht, dich als neue Äbtissin zu sehen. Dein Anblick ist unverändert erfreulich. Was, wie du siehst, bei mir leider nicht der Fall ist.“
Wenn Berekh dieses Weib kannte, musste sie einige hundert Jahre alt sein … Was nichts an Daenas Verlangen änderte, ihr die Nägel in das makellose Gesicht zu schlagen und selbst zu prüfen, ob sich nicht eine Veränderung erreichen ließe.
Kraja stieß ein kehliges Lachen aus, das sicherlich bereits so manchen Mann um den Verstand gebracht hatte. „Ja, das sehe ich. Ich nehme an, darin liegt der Grund für deinen Besuch?“
Irgendeine Reaktion musste sie von Berekhs Gesichtsknochen abgelesen haben, denn sie nickte verständnisvoll. „Ich nehme an, den Preis kennst du. Und du hast auch gleich ein Spenderobjekt mitgebracht! Wie aufmerksam von dir.“ Ihre eisblauen Augen musterten Daena, die sich schlagartig wünschte, wieder nur das Gör zu sein, das den hochwohlgeborenen Schädel tragen durfte. Oder noch
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