Herzen im Feuer
folgte ihm an der Mauer entlang, bis sie genau unter dem Fenster stand, aus dem das Licht drang. Von Nicholas war nichts zu sehen, und der Schwede war bereits um die Ecke verschwunden.
Nicholas hatte die Eingangstür erreicht und drückte halbherzig die Klinke. Zu seiner großen Überraschung öffnete sich die Tür. Offenbar waren die Entführer sich ihrer Sache so sicher, daß sie es noch nicht einmal für nötig gehalten hatten, die Tür zu verriegeln.
Nicholas schlich sich hinein. Obwohl es dunkel war, konnte er die Silhouetten von großen Fässern und Kistenstapeln ausmachen. Er fluchte, als er über den Stiel einer Schaufel stolperte, die quer über den Weg lag und zu einem Sortiment von Schaufeln, Hacken und Sägen an der Wand gehörte. Er tastete sich an mehreren Schubkarren vorbei, die weiter vorn auf dem Boden aufgestellt waren. Am Ende der großen Lagerhalle drang Licht durch einen schmalen Spalt unter der Tür.
Nicholas hörte ein Husten, dann ein rauhes Lachen, gefolgt von einer Frauenstimme. Plötzlich hoffte er, daß sie sich im richtigen Lagerhaus befanden, daß dort nicht ganz normale Geschäftsleute über ihren Bü- chern saßen. Denn sie würden nie mehr dieselben sein, wenn sie erst den Kriegsschrei des Schweden gehört hatten. Aber es war schon fast elf Uhr abends; kein Kaufmann arbeitete so lange, überlegte Nicholas. Vor
allem nicht zusammen mit einer Frau und einem Kind, fügte er grimmig hinzu, denn in diesem Augenblick hörte er Kinderweinen.
Im selben Augenblick durchschnitt ein grauenhafter, unmenschli- cher Schrei die Stille, der selbst Nicholas Schauer über den Rücken jagte. Er trat im gleichen Augenbli ck die Tür ein, in dem die Hintertür unter dem Ansturm des Schweden nachgab.
Die drei im Raum waren von dem Kriegsschrei und der plötzlichen Attacke wie gelähmt. Nicholas und der Schwede stürzten sich von beiden Seiten in den Raum.
Molly sank ohnmächtig in einer Ecke zu Boden, während der Graf und Jacques sich ihren Angreifern stellten.
Als Jacques Nicholas' wutverzerrtes Gesicht sah, hätte er sich am liebsten augenblicklich ergeben. Aber er wußte, daß sein Gegner keine Gnade kennen würde, und so zog er sei ne Pistole aus der Rocktasche und versuchte, die Gestalt anzuvisieren, die da auf ihn zuflog. Doch Nicholas war schneller, tauchte zu Jacques' Füßen ab und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Sie stürzten beide zu Boden. Jacques schlug wie besessen um sich und versuchte Nicholas mit seinen Füßen zu treten.
Der Schwede hatte mit einem sauberen Schlag die Vorderzähne des Grafen von ihren Wurzeln getrennt und seinen Kiefer zerschmettert. Jetzt stand er über dem blutverschmierten Körper seines reglos dalie- genden Gegners und verfolgte mit Interesse den Kampf zwischen Ni- cholas und Jacques. Es schien, als hätte Jacques genug, nachdem ihm Nicholas die Faust auf die Nase plaziert hatte. Doch plötzlich sah der Schwede Stahl aufblitzen, und bevor er Nicholas warnen konnte, hatte Jacques die Klinge in Nicholas Schulter gerammt.
Im gleichen Moment war Jacques schon wieder auf den Beinen. Doch bevor er noch die Tür erreichen konnte, rief Nicholas seinen Namen. Jacques wirbelte herum, sein blutiges Gesicht zu einer dämo- nischen Fratze verzerrt und die Hand erhoben, um das Messer auf seinen Gegner zu schleudern. Diesmal war Nicholas auf der Hut. Der ohrenbetäubende Knall seiner Pistole erfüllte den Raum. Jacques wurde rückwärts gegen die Wand geschleudert. Noch bevor er zu Boden sank, war er tot, die Augen vor Überraschung und Schmerz weit aufgerissen.
»Ist es schlimm, Nick?« fragte der Schwede, als sich Nicholas müh- sam hochrappelte.
Nicholas schnitt eine Grimasse und studierte sein blutgetränktes Hemd. »Es wird schon gehen. Wo ist der Junge?«
Plötzlich bewegte sich etwas unter einem Deckenstapel in der Ecke. Nicholas schob die staubigen Stoffberge beiseite und entdeckte den gefesselten kleinen Jungen darunter. Die dunklen Locken hingen ihm in die schreckgeweiteten Augen, als er den großen, wild aussehenden Mann über sich erblickte, der sich gerade das Blut abwischte.
Er krümmte sich vor Angst zusammen, als er sah, wie sich Molly mit raschelnden Kleidern hinter dem Mann aufrichtete, der ihn befreit hatte. Nicholas hörte das Geräusch in just dem Augenblick, als Molly, die das Bewußtsein wiedererlangt hatte und erkannte, daß alles verloren war, aus dem Raum zu schleichen versuchte. Der Schwede wollte sie aufhalten, aber Nicholas schüttelte
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