Herzklopfen - Down Under (German Edition)
Immer wieder blitzte Jakes Gesicht vor ihr auf. Seit Miss Decintio die Schüler eingeteilt hatte, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Sie hätte sich gewünscht, er würde ihrem Team zugewiesen werden, doch sie hatte vergeblich gehofft. Stattdessen gehörten ein pickliger Jüngling, der sie aus einigen Metern Entfernung anschmachtete, sein Freund und eine hübsche junge Frau aus der Oberstufe zu ihrer Gruppe. Hayley konnte wunderbar singen. Sie hockte im Schneidersitz unweit von Emma und ihr auf einem Mäuerchen, wo sie ihr Können lautstark zum Besten gab. Nele kannte die Melodie. Sie musste nur den dazugehörigen Text studieren und konnte dem Vorsingen in ihrer Gruppe also unbesorgt entgegenblicken …
»Hey Ladys!«
Nele beschattete ihre Augen gegen das grelle Licht. Vor ihr stand der junge Mann, der im Auditorium neben ihr gesessen hatte. Er war mindestens eins fünfundachtzig groß. Sie starrte auf seine muskulösen Oberarme. Erneut beschlich sie das Gefühl, ihm bereits begegnet zu sein.
Ungefragt ließ er sich neben sie ins Gras sinken. »Großartiger Tag heute, oder?« Unverblümt wanderte sein Blick von ihrem Gesicht zum Ausschnitt des dunkelblauen Poloshirts, glitt über ihre nackten Beine und zurück. »Ich bin übrigens Chris.« Er streckte erst Emma, dann Nele seine Hand hin. Sein Griff war fest, seine Haut schwielig. Nele zuckte zusammen, als er zudrückte.
Abwartend sah er sie an. Nele starrte irritiert zurück.
»Und ihr?«
»Ach so.« Sie nestelte an ihrem Kragen. »Ich bin Nele, das ist Emma.«
»Nele und Emma«, wiederholte er, als wollte er sich die Namen einprägen. »Wie kommt ihr zwei voran?«
Emma hob gleichgültig die Schultern und widmete sich erneut ihrem Blatt. Offensichtlich verspürte sie keinerlei Interesse an einer Plauderei mit dem Kerl. Seine dunklen Augen auf Nele geheftet, rupfte Chris einen Grashalm ab und steckte ihn in den Mund. Sie nahm sich vor, ihre Freundin später nach ihm auszuhorchen, doch ihre Neugier siegte. »Sind wir uns schon einmal begegnet? Als ich dich vorhin sah, hatte ich das Gefühl …«
»Nö, ich hab dich noch nie zuvor gesehen. Im Saal da drin das erste Mal.« Auf seiner Stirn erschien eine steile Falte und er starrte Löcher in den vertrockneten Rasen.
Was für ein ungehobelter Kerl!
»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht anfahren.« Chris räusperte sich. »Ich hätte mich mit Sicherheit an dich erinnert. So eine hübsche Braut vergisst man nicht.«
Sie spürte Hitze in ihre Wangen steigen, und das lag definitiv nicht am Wetter.
Emma machte ein Geräusch, das wie ein abfälliges »Pfft« klang, was Chris aber geflissentlich ignorierte.
»Bewirbst du dich für eine bestimmte Rolle?«
»Ich … äh, nein.« Nele lehnte sich ein wenig vor, sodass ihre langen Strähnen ihr Gesicht verbargen. »Ich wollte mir das Ganze nur einmal ansehen.«
»Verstehe.«
»Und du?«, fragte sie höflichkeitshalber nach, weil sie dachte, er erwartete es. Allmählich wurde sie nervös. Sie sollte lieber ihren Text lernen …
Chris fuhr sich mit gespreizten Fingern durch sein wirres Haar. Ihr fielen die Trauerränder unter den Nägeln auf. Seine Hände sahen aus, als würde er in seiner Freizeit an Motoren herumschrauben oder an Autos basteln.
»Bloody hell, nein. Mein Betreuungslehrer hat mich verdonnert, beim Bühnenaufbau oder bei der Beleuchtung mitzuhelfen. Singen kann ich nicht.«
»Ich auch nicht«, entfuhr es ihr, bevor sie sich stoppen konnte. Das ging diesen Chris wirklich nichts an. Hatte er Betreuungslehrer gesagt? Ob er etwas ausgefressen hatte? Neugierig musterte sie ihn aus den Augenwinkeln. Andererseits – was kümmerte es sie, ob der Typ etwas auf dem Kerbholz hatte? Eigentlich war sie sowieso nur hier, um Jake zu sehen. Außerdem lief ihr langsam die Zeit davon. »Entschuldige. Ich muss jetzt wirklich …«, murmelte sie. Erneut hob sie das Blatt. Während die Worte darauf zu einem sinnlosen Gefasel verschwammen, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass Jake auftauchen möge. Sie versuchte, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen, um die Worte halbwegs in ihren Kopf zu bekommen.
»Nele?« Emma stupste sie in die Seite. Nele stöhnte innerlich auf, doch dann begriff sie. Das Schicksal hatte sie erhört! Dort drüben war Jake. Offensichtlich hatte er der Kantine einen Besuch abgestattet. Er hielt eine Flasche Orangensaft in der einen und ein Sandwich in der anderen Hand. Er wirkte, als ob er konzentriert über irgendetwas nachdenken
Weitere Kostenlose Bücher