Hexenblut
dass wir einander auf magischem Weg Kraft verleihen. Bitte lasst mich gehen.«
»Glaubst du etwa, du seist die erste Tochter der Magie, die eine Zwillingsschwester hat? Ihr seid wahrlich nicht die einzigen und nicht einmal die stärksten magisch begabten Zwillinge eurer Zeit.«
»Was? Von dem sprecht ihr?«, fragte Nicole drängend.
»Ihr hattet Glück, dass ihr bisher zusammengeblieben seid. Nicht so die anderen. Zu stark, zu viel Macht. Gemeinsam stören sie das Gleichgewicht.«
Sie starrte die unbewegten Münder an. Die milchigen Augen.
»Wer?«
»Getrennt und verändert, eine versteckt sich, und die andere kennt nicht einmal ihren Namen.«
»Warum erzählt ihr mir das?«, fragte Nicole.
Dann gab ihr eigenes Herz die Antwort. Sie hatten nicht vor, sie wieder gehen zu lassen. Deshalb sprachen sie so offen.
Nein. Ich kann Owen und Amanda nicht im Stich lassen.
Sie holte zittrig Atem. »Wenn ihr ohnehin nur vorhabt, mich zu töten, dann redet wenigstens vernünftig mit mir. Euer Plan war ach so genial, ja? Dann beweist es mir - sagt mir, wen ihr getrennt habt.«
»Das eine Kind verbirgt sich voll Scham in der Dunkelheit. Das andere lebt im Licht, doch es weiß nicht, wie es heißt.«
»Was soll das bedeuten?«, fragte Nicole.
»Sie sind beide Deveraux.«
Ein Schauer lief Nicole über den Rücken. Deveraux-Zwillingsschwestern. Und sie und Amanda waren Cahors-Zwillingsschwestern. Das konnte kein Zufall sein. Doch die anderen beiden waren mächtiger als sie und Amanda. Aber wenn man Holly hinzuzählt, kann kein lebender Deveraux uns das Wasser reichen, überlegte Nicole. Die eine Schwester wuchs im Obersten Zirkel auf und wusste, wer sie war, hielt es aber geheim. Vor wem hatte sie Angst? Michael? Sir William? Die andere wurde im Mutterzirkel groß, ohne zu ahnen, dass sie eine Deveraux ist.
Und plötzlich stand ihr die Schlacht im Hauptquartier des Obersten Zirkels vor Augen, und die Hexerin Eve, die Jer kannte, die ihnen geholfen hatte und selbst entkommen war. Und dann sah sie ein weiteres Gesicht vor sich, eine äußerst anmutige Frau mit auffällig ähnlichen Zügen. Anne-Louise. Anne-Louise, die so viel stärkere Banne wirken konnte als jede andere. Anne-Louise, die der Mutterzirkel im Tempel großgezogen hatte, weil sie eine Waise gewesen war.
Nicole fiel auf die Knie und würgte. Anne-Louise, die gerade jetzt bei Owen war.
Frankreich: Kari
Kari stand vor den Ruinen von Schloss Cahors. Das Böse hing in der Luft wie ein fauliger Gestank. Sie spürte die Todesqualen von tausend und abertausend Seelen. Hier hatten viele den Tod gefunden, um politischer Macht oder magischer Bezwingung willen.
Ich höre die Toten, dachte sie, weil ich selbst tot bin.
Sie wusste nicht, weshalb sie hier war. Es war, als sei sie in einen Traum hinein aufgewacht, nicht aus einem erwacht. Die Luft schimmerte, und sie taumelte ein paar Schritte zurück. Der Boden vibrierte und kitzelte ihre Fußsohlen.
Tu es là, sagte die Stimme. Du bist da.
»Ja«, antwortete sie auf Englisch.
Eine wie du vollendet den Kreis. Eine ist hier, die sterben wird, wenn sie in deine Zeit kommt. Und du bist auch gestorben.
»Ich bin gestorben«, flüsterte sie. Jemand anders wäre vielleicht außer sich gewesen vor Entsetzen, doch sie empfand ... nichts.
Es ist noch nicht so weit. Sie kommen. Warte auf sie.
Vor ihrem geistigen Auge sah sie ein Gasthaus ein Stück weiter die Straße entlang. Hinter ihr wartete das Taxi mit laufendem Motor. Sie machte kehrt und stieg wieder ein. Eine Stunde später legte sie sich in ihrem Gästezimmer aufs Bett, und sie träumte nicht.
Drei Tage später wurde sie erneut gerufen.
Dr. Nigel Temar trat aus den Schatten der Kastanienbäume, als eine junge Frau mit braunem Haar sich der Ruine von Schloss Cahors näherte. Einen Moment lang glaubte er, es sei Kari, doch so viel Glück hatte er nicht. Dennoch funktionierte seine GPS-Ortung endlich wieder, und das Gerät hatte ihm angezeigt, dass sie hier sein müsste.
Dann entdeckte die Frau ihn, und sie wirkte ebenso verwundert, wie er vermutlich dreinschaute. Sie neigte den Kopf zur Seite. Da trat ein asiatisch aussehender junger Mann hinter sie und nahm ihre Hand.
»Bonjour«, sagte sie vorsichtig. Der Mann schwieg.
»Das ist eine prächtige Ruine, nicht wahr?«, entgegnete Nigel. »In meinem Kunstführer steht...«
»Sie kommt in keinem Führer vor, jedenfalls nicht in denen, die wir haben«, unterbrach sie ihn. »Wissen Sie, wie sie heißt?«
Nigel
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