Hexenblut
Verehrung des Christengottes. Der Engel, der offenbar der Anführer war, sah Jer an und neigte leicht den Kopf, nicht ehrerbietig, sondern als Zeichen dafür, dass sie bereit waren. Jer wusste nicht, woran er den Unterschied erkannte, doch er spürte es in den Knochen, genauso stark, wie er sie als nicht menschlich empfand.
Die Dämonen müssen wohl auch ihr Gegenstück haben. Schließlich geht das Gleichgewicht angeblich über alles. Derek starrte die Engel ebenfalls an, nackte Angst in den Augen. Pablo und Armand beteten mit gesenkten Köpfen, und der Engel hinter Armand schien ihm etwas ins Ohr zu flüstern.
Jer wandte sich ab, ging weiter und zwang sich, die Gedanken dem Rest seiner Leute zuzuwenden. Wenn es so weit war, würde er an Karis Seite stehen. Sie hatten einst viel füreinander empfunden und müssten gemeinsam recht mächtige Magie wirken können, obwohl ein Teil dieses Teams tot war. Wer konnte da wissen, was geschehen würde? Vielleicht würden sie eine wilde, überraschende Art von Magie hervorbringen. Und auf sein Zeichen hin würden er, Eli und Eve das Schwarze Feuer manifestieren.
Katzen spazierten zwischen den Gruppen und einzelnen Hexen umher. Jer verstand nicht, wie das möglich war, aber offenbar hatte sich jede Katze, die irgendwann einmal eine der Fürstinnen geliebt oder unterstützt hatte, hier eingefunden. Bast, Freya und Astarte schienen gesund und munter zu sein. Hecate und Osiris waren munter, aber ganz gewiss nicht gesund. Wisper, die Katze der Göttin, gab auf sie alle acht.
Am Himmel über ihnen umkreisten sich Fantasme und Pandion argwöhnisch, während sie Ausschau nach Gefahr hielten. Die beiden hätten nichts lieber getan, als sich gegenseitig zu zerfleischen, doch der Wille ihrer Herren hielt sie davon ab.
Owen war einigermaßen sicher bei Nigel Temar. Der Mann machte Jer schaudern, aber er war ein guter Arzt, und er würde als Anlaufstelle und Lazarettarzt dienen. Allerdings vermutete Jer, dass sie seine Dienste erst dann brauchen würden, wenn alles vorbei war. Jer hatte Nigel eingeschärft, die Leute nur zu heilen, aber niemanden wiederauferstehen zu lassen. Er sah ja, wie es Kari ging, und das wünschte er niemandem.
Blieb nur noch Richard. Jer beobachtete ihn schon den ganzen Vormittag. Der Mann war ein kleines Wunder. Dass er als Einziger ihrer Krieger keine magischen Kräfte besaß, machte seinen Mut umso erstaunlicher. Er trug ein halbes Arsenal mit sich herum, und Derek hatte ihm geholfen und alle seine Waffen und sämtliche Munition verzaubert. Diese Banne würden verhindern, dass irgendjemand außer Richard die Waffen abfeuern konnte. Jer fand diese letzte Kleinigkeit besonders genial.
Richard drehte sich um, als spürte er, dass ihn jemand beobachtete. Er schenkte Jer ein knappes Lächeln. Er ist bereit, so bereit, wie wir übrigen es nie sein werden. Es war fast an der Zeit, die Toten wachzurufen. Er zitterte unwillkürlich und wünschte wieder einmal, Holly wäre bei ihm. Sie fühlte sich als Kommandantin von Geisterarmeen wesentlich wohler als er selbst.
»Jer?«
Er wandte sich um und blickte in das lächelnde Gesicht seiner Mutter. Die Göttin selbst hätte schöner nicht sein können. Er streckte die Arme aus und drückte sie fest an sich in dem Bewusstsein, dass dies das letzte Mal sein könnte.
»Was ist, Mom?«
»Ich möchte Richard etwas schenken, aber dazu brauche ich deine Hilfe.«
»Was genau stellst du dir denn vor?«
Richard überprüfte seine Waffen zum letzten Mal und ließ dann wartend die Gedanken schweifen. Sosehr er sich auch wünschte, Holly wäre hier, er war sehr erfreut darüber, wie Jer Deveraux sich gemacht hatte. Der Junge war endlich zum Mann geworden, und es war schön, das zu sehen. Er hatte nie viel von dem Burschen gehalten, obwohl Amanda ihn jahrelang angeschmachtet hatte. Er war nichts weiter als ein selbstsüchtiger, grüblerischer Junge gewesen. Richard war froh, dass sich offensichtlich vieles geändert hatte. Er würde es gern sehen, wenn eines seiner Mädchen sich mit diesem neuen Jer zusammentat.
»Richard?«
Er fuhr zusammen, als er die leise Stimme seinen Namen sagen hörte. Wie im Traum drehte er sich um. Seine verstorbene Frau Marie-Claire stand hinter ihm, als weicher Schimmer im Morgenlicht. Es schnürte ihm die Kehle zu. Sie war ein Geist, aber viel mehr als eine bloße Erinnerung.
»Marie«, flüsterte er.
Tränen liefen ihr über die Wangen. »Es tut mir leid, Richard, es tut mir so furchtbar
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