Hexenblut
ahnungslose deutsche Touristen gingen an ihm vorbei. Eine Nonne in schwarzweißer Ordenstracht blieb stehen und neigte den Kopf, als versuchte sie den Ursprung ihres plötzlichen Unwohlseins zu ergründen.
Ja, ich habe auf deinem geweihten Grund und Boden ein Blutopfer dargebracht, höhnte er im Stillen. Na und? Deine Religion trieft nur so vor Blutopfern.
Sofort musste er wieder an Maria denken, und er verzog das Gesicht. Weil er sie in dieser Höhle gesehen hatte, hatte er auch ein Boot entdeckt, das dort verborgen gewesen war. Am nächsten Morgen war er wieder hingegangen, voller Angst davor, was ihn erwarten mochte, aber ihr gespenstisches Abbild war verschwunden. Er hatte sich bemüht, das Boot nicht als eine Art Geschenk zu betrachten, das auf magische Weise über Jahrhunderte hinweg dorthin gebracht worden war, für ihn. Doch das war schwierig, vor allem, weil er diese Höhle schon an seinem zweiten Tag auf der Insel abgesucht hatte.
Okkulte Energie pulsierte auf seiner Haut wie eine Aura. Er hatte seine neue Macht immer besser zu lenken gelernt. Mit solchen Kräften ausgestattet, würde er doch wohl eine Hexe und ihr Kind finden können.
Ungesehen glitt er durch den schwachen Sonnenschein und spazierte auf dem Dach von Notre-Dame entlang. Das alte Paris breitete sich unter ihm aus, klassische Bauwerke und Hochhäuser und endlose Autoschlangen. Schnee und Nebel wirbelten um den Fuß des Eiffelturms und strichen über die Seine. Er hatte das Gefühl - oder die Hoffnung - gehabt, dass Nicole mit ihrem Baby hierhergeflohen sein könnte.
Dieses Baby könnte mein Kind sein, dachte er und ballte in den langen Ärmeln des Sweatshirts die Fäuste. Und die beiden sind in Gefahr.
Hollys gesamter Coven stand auf der Abschussliste des Obersten Zirkels. Sie hatten die Banne des Londoner Hauptquartiers überwunden und unzählige Hexer ausgelöscht. Jetzt führten Holly und Alex offenbar eine Art Kreuzzug, spürten weitere Hexerzirkel auf und vernichteten sie. Soweit Eli wusste, waren Nicole und das Baby nicht dabei. Zumindest so vernünftig war Holly also.
Ich muss sie finden, ehe der Oberste Zirkel sie erwischt. Ihm war schlecht vor Angst. Und er erkannte sich kaum wieder. Sein machtgieriger, grausamer Vater hatte ihn nicht dazu erzogen, an so gewöhnliche Fantasiegebilde wie Liebe zu glauben. Eli war ein Deveraux-Hexer, dem Gehörnten Gott geweiht, und sogar ihm selbst war klar, dass die Sorge, die ihn auffraß, irrig und schädlich war. Er war davon so abgelenkt, dass sich jederzeit beliebig viele Feinde an ihn heranschleichen könnten, und er würde sie nicht bemerken, bis sie ihn erledigt hätten.
Und deshalb muss ich sie finden.
Die Stadt glitzerte, und die Sonne spiegelte sich in Tausenden Windschutzscheiben von Autos, Lastwagen und Bussen, die durch die schmalen Pariser Straßen rasten, doch enthüllte kein rotes Glühen das Ziel seines Findezaubers: Nicole Anderson-Moore, Witwe von James und Schwiegertochter von Sir William. Und ihr Kind.
Dieses Kind ist von mir. Es muss meines sein. Weil Nicole mein ist.
Sie muss mir gehören.
Er legte die Handflächen auf eine Mauerzinne der Kathedrale und lauschte dem Blut, das in seinen Ohren rauschte. Magie vibrierte in ihm. Früher einmal war er sehr geschickt darin gewesen zu beobachten und abzuwarten. Aber jetzt nicht mehr.
Jetzt nicht mehr.
Frustriert trottete er zurück zu seinem Hotel. Er knallte die Zimmertür zu und ließ sich aufs Bett fallen. Mit einem lauten Schnauben begann er zu überlegen, was er als Nächstes tun sollte.
Während Philippe in der Kathedrale von Notre-Dame kniete, wurde ihm bewusst, dass er sich noch nie so allein gefühlt hatte. Er zündete zwei weiße Kerzen an und betete voller Inbrunst, während er in die beiden Flammen starrte. Sie symbolisierten zwei Gruppen von Menschen, die er verzweifelt suchte. Er betete darum, dass er beide finden würde, aber schon über eine wäre er sehr glücklich.
Es war sehr dumm von ihm gewesen, Nicole von der Seite zu weichen. Doch als er den Notruf von Pablo erhalten hatte, war das einer der lebhaftesten, erschreckendsten magischen Augenblicke seines Lebens gewesen, und er hatte ihn wie aus tiefem Schlaf geweckt. Philippe hatte ein paar Wochen gebraucht, um der Spur der anderen bis nach Köln zu folgen. Doch danach schien es, als wären sie wie vom Erdboden verschluckt.
Schließlich hatte er aufgegeben und versucht, zu Nicole zurückzukehren, aber feststellen müssen, dass er sie aus
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