Hexenblut
verbreitet war, hatte fast alle Geier im Land vergiftet. Nun mussten die Leichen in der Sonne verrotten, was viel länger dauerte, als wenn die Kadaver von Geiern gefressen wurden, was der zoroastrischen Gemeinde großen Kummer bereitete.
Fantasme gierte danach, ihnen ein wenig zu helfen, und Eli erfüllte dem Bussard gern alle Wünsche. Die Moores hatten Fantasme als Geisel festgehalten und gefoltert. Sie hatten ihm unendliche Qualen angedroht, sollten die Deveraux das Geheimnis des Schwarzen Feuers nicht mit den Moores teilen. Das hatten die Deveraux nicht getan.
Fantasme sauste im Sturzflug auf den Turm hinab, und Eli wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Findezauber zu. Die winzige schwarze Silhouette eines fliegenden Bussards schwebte über seiner offenen Handfläche wie eine Kompassnadel. Wie immer suchte er nach Nicole. Die Art, wie der Vogel flatterte und die Richtung änderte, sagte ihm, dass jemand in der Nähe war. Vermutlich nicht Nicole selbst, sondern jemand, der mit ihr verbunden war.
Der Boden unter seinen Füßen grollte. Stirnrunzelnd schaute er nach unten und versuchte sich zu erinnern, ob Indien häufig von Erdbeben heimgesucht wurde. Die Erde erzitterte erneut. Er umgab sich mit einem gemurmelten Schutzzauber und machte weiter.
Die Erde war wieder still, als er auf den Gehweg an der Hauptstraße trat, wo sein Fahrer wartete. Der Mann nahm beim Anblick seines Arbeitgebers Haltung an und öffnete Eli die Tür des langweiligen, aber funktionalen Mercedes. Mit einem Nicken stieg Eli ein. Er blickte aus der getönten Seitenscheibe und sah Fantasme hoch in der Luft kreisen. Nicht jeder konnte ihn sehen, und er flackerte verschwommen zwischen dieser Wirklichkeit und dem mystischen Wald hin und her, wo er unablässig Pandion jagte, das Falkenweibchen der Cahors.
Eli lehnte sich an die dick bestickten Decken auf dem ledernen Rücksitz. Der Fahrer verehrte Ganesha, der Hindernisse auflöste und als Schutzpatron des Schreibens galt. Eine kleine Statue des Elefantengottes war an das Armaturenbrett geklebt. Eli fragte sich, wie man wohl zu ihm betete und ob er die Gebete eines Hexers hören würde. Eli war im Glauben an den Gehörnten Gott aufgewachsen, der nichts so sehr liebte wie Opfergaben. Elis Vater hatte zahllose Opfer dargebracht, um zu bekommen, was er wollte - darunter auch Nicoles Mutter und, so vermutete Eli, Hollys Eltern.
Er knirschte mit den Zähnen beim Gedanken an dieses Miststück. Von Geburt an war ihm eingebläut worden, dass Liebe und Treue Illusionen waren, die dafür sorgen sollten, dass die Machtlosen sich nicht erhoben. Aber nun, da er seine Mutter, Sasha Deveraux, gesehen und ihre Seite der Ereignisse zwischen ihr und Elis Vater gehört hatte, wurde Eli eines bewusst: Er hatte sie sein ganzes Leben lang geliebt und hasste sie dafür, dass sie ihn im Stich gelassen hatte.
Durch einen bizarren Riss in der Realität waren Sasha und Eli in die Zeit von Isabeau Cahors und Jean Deveraux zurückversetzt worden. Sasha war tödlich verwundet gewesen, und Isabeau hatte ihr gesagt, wenn sie in der Vergangenheit bliebe - wo sie nicht verwundet worden war -, könne sie weiterleben. Würde sie sich dort Magie aneignen, die in den Lauf der Zeit eingriff, und versuchen, die Gegenwart zu ändern?
Genau das würde eine wohlmeinende Hexe versuchen, ganz gleich, ob sie damit ihrer Familie schaden oder sie ganz und gar auslöschen könnte. Weißmagische Hexen verschrieben sich der Vorstellung von einem übergeordneten Wohl - die Bedürfnisse des Ganzen, der Gruppe, waren stets wichtiger als die Wünsche, ja das Schicksal eines Einzelnen. Kein Wunder, dass sich die Verehrung des Gehörnten Gottes im Mittelalter, als die katholische Kirche Bauern wie Adlige ausbeutete, wie ein Lauffeuer verbreitet hatte. Denn »übergeordnetes Wohl« war nur eine schöne Umschreibung von Unterdrückung.
Wo waren all die guten Hexen gewesen, als Nicole gezwungen worden war, James Moore zu heiraten? Sie hatten nicht einmal versucht, etwas zu unternehmen, bis Holly Cathers Hilfe bei der Finsternis gesucht hatte. Die war keine zarte weiße Lilie, oh nein. Ihre Seele war jetzt gespalten, sowohl für die Göttin als auch für den Gehörnten Gott zu haben. Bei wem sie schließlich landete, würde interessant zu beobachten sein.
Die Straßen von Mumbai flogen an ihm vorbei, und Eli seufzte schwer, während er zusah, wie der winzige Bussard über seiner offenen Handfläche schwebte. Der Fahrer war vollauf mit dem Verkehr
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