Hexenblut
ihrem Blut zu baden, und wozu? Das soll ihr Mut verleihen! Damit sie bei Jean liegen kann, ohne zu schreien.«
Jean lächelte boshaft. Er würde es genießen, Isabeau zum Schreien zu bringen. Und noch mehr, Paul-Henri zu töten. Beides so bald wie möglich. Dann würde er der einzige Sohn seines Vaters sein.
»Aber du hast sie geliebt«, schrie Alex/Laurent ihn an, und Speichel flog ihm von den Lippen. »Der Geist von Jean, der noch in dir steckt, hat Isabeau geliebt. Liebe! Mit deiner Liebe hast du unsere Familie vernichtet! Und selbst jetzt kämpfst du für die Cahors! Gegen deine eigenen Blutsverwandten!«
Ich bin nicht Jean. Ich bin ...
Etwas Scharfes schlitzte ihm den Hals auf. Blut sprudelte, dampfte, gefror an der Luft.
Ich bin ...
Er war im Begriff zu sterben.
Ich würde für sie sterben. Für Isabeau ...
Mais non, nein, nicht Isabeau ...
Isabeau wurde geboren, damit Holly...
Warte auf mich, wohin auch immer der Gott mich schickt, dachte er, als die Welt zu einer schmalen roten Linie zusammenschrumpfte. Dann: Nein, nicht. Komm niemals hierher. Es wird die Hölle sein.
Scarborough:
Nicole, Anne-Louise, Richard, Sasha und Owen
Anne-Louise, Sasha und Richard unterhielten sich leise, während Nicole Owen ins Bett brachte. Dann trank sie eine Tasse beruhigenden Kräutertee, den Sasha ihr gekocht hatte, setzte sich neben seine Wiege, schaukelte ihn sanft und betrachtete den Lichtschimmer um seinen Kopf, der leuchtete wie ein Heiligenschein. Sie stellte die rote Tasse mit dem grünen Efeu-Motiv auf seinen Wickeltisch und streichelte mit den warmen Fingern seine Wange. Während sie einmal mehr darüber staunte, wie weich seine Haut war, fragte sie sich, wer er in Wahrheit sein mochte. Kari hatte gesagt, er werde sterben, wenn er dieses Anwesen verließ. Stimmte das, oder war es nur eine von Merlins Lügen? Kari schien die Dinge anders zu sehen, jetzt, da sie tot war, und Nicole hätte sie gern gefragt, was sie sah, wenn sie Owen betrachtete.
Aber Kari war weg. Sie hatten nach ihr gesucht, doch kein Findezauber und kein Seherkristall hatten etwas genützt. Außerdem fehlte fast das gesamte Geld, das Anne-Louise dabeigehabt hatte, was zumindest bedeutete, dass Kari davongelaufen und nicht etwa entführt worden war.
Nicole hatte geglaubt, dass sie sich sicherer fühlen würde, wenn Kari nicht in der Nähe ihres Babys war, doch nicht zu wissen, wo sie steckte und weshalb sie verschwunden war, machte Nicole nur nervöser. Jetzt, als Mutter, fiel es ihr viel schwerer, mit ihrer Angst klarzukommen. Sie konnte nicht davonlaufen - sie musste Stellung beziehen und ihr Kind schützen. Angst konnte eine sehr selbstsüchtige Emotion sein, und ehe Owen in ihr Leben getreten war, war sie extrem egozentrisch gewesen. Damals war sie davongelaufen, hatte Holly und Amanda zurückgelassen und dadurch die Macht der drei gebrochen... denn die Magie war am stärksten, wenn drei Hexen sie gemeinsam wirkten.
Drei Hexen, drei Hexer, drei Magier, drei Zauberer. Das Dreieck war das stabilste aller Bilder in der Zauberei. Immerhin war ein Pentagramm nichts anderes als ein Dreieck in einem Dreieck in einem Dreieck! Dreifaltigkeit, Dreieinigkeit.
Nicole dachte daran, wie fordernd sie ihrer Mutter gegenüber stets gewesen war - jede Extrawurst, jede Bevorzugung hatte sie durchgesetzt. Und mit welcher Verachtung sie Richard begegnet war, ihrem Vater, der von der Affäre seiner Frau - mit Elis Vater! - gewusst, aber nichts unternommen hatte, als traurig und deprimiert herumzuhocken. Aber Richard Anderson war nicht gegangen. Er war geblieben... für seine Frau und seine Kinder. Die Liebe ertrug unendlich viel.
Nicole dachte wieder an Köln und überlegte dann, weshalb ihre Gedanken ständig dorthin zurückkehrten. Nachdenklich griff sie nach ihrer Tasse...
... nach ihrer Tasse...
... nach ihrer Tasse...
Die war nicht mehr da.
Und sie selbst auch nicht.
Im Tempel der Blinden Richter: Nicole
Nicole drehte sich taumelnd um sich selbst. Sie war von weißem Nebel umgeben, und als dieser sich lichtete, stellte sie fest, dass sie inmitten eines Kreises aus klassischen Säulen stand. Sie reichten so hoch in die wallenden Wolken über ihr, dass sie das obere Ende nicht sehen konnte. Zwischen den Säulen saßen Männer und Frauen auf thronartigen Stühlen aus weißem Marmor. Sie trugen Togen und hatten milchig weiße Augen, obwohl ihre Gesichter jugendlich und glatt waren. Manche von ihnen waren weiß wie Knochen, andere hatten einen
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