Hexenfluch: Roman (German Edition)
sah Roland einfach nur nach, bis er die Straße und seinen Wagen erreicht hatte. Als er sich schließlich doch zu ihr umdrehte, war das Gefährliche mit einem Schlag wie weggewischt. So, als wäre es nie da gewesen. Sekundenlang musterten sie einander. Bis Ella mit einem scharfen Laut die Luft ausstieß. »Was sollte das eben?«
Havreux schob die Hände noch ein Stück tiefer in die Hosentaschen, neigte den Kopf, sagte aber nichts.
Sie schnaubte, machte kehrt und ging ins Haus zurück. Und wirbelte noch in der Tür wieder zu ihm herum, stieß mit dem Zeigefinger nach ihm. »Mit Roland wäre ich auch ohne Ihre Hilfe fertig geworden. Ich brauche niemanden, der für mich den Beschützer spielt, klar?«
Abwehrend hob Havreux die Hände. Er wirkte wieder vollkommen harmlos. Die personifizierte Sanftmut. »Natürlich nicht. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich einen anderen Eindruck erweckt habe, Dr. Thorens.«
Chamäleon! Dieser Mann war ein absolutes Chamäleon. Vom Raubtier zum Unschuldslamm in null Komma null Sekunden. Ella schüttelte den Kopf. Und er schaffte es damit tatsächlich, dass sie sich lächerlich vorkam, weil sie ihn deswegen angegiftet hatte.
»Ja, natürlich.« Seufzend nickte sie ins Innere des Hauses. »Kommen Sie rein.« Sie drehte sich um und ging vor ihm her. »Geben Sie mir fünf Minuten, dann bin ich fertig.«
»Ich wollte mich wirklich nicht einmischen, Dr. Thorens.« Havreux folgte ihr, schloss die Haustür. »Und ich bin überzeugt, dass Sie mit diesem Vollidioten allein zu Rande gekommen wären. Aber als ich ankam, sah es aus, als würde er Sie bedrängen. Ich fürchte, da ist ein bisschen der … Beschützerinstinkt mit mir durchgegangen.« Jetzt klang er zerknirscht. »Wer war der Kerl überhaupt?«
Beschützerinstinkt. Pft. Schon halb die Treppe hinauf, blieb Ella stehen, sah über die Schulter zu ihm zurück. »Mein Ex-Freund, Roland Piers. – Und verkneifen Sie sich jeden Kommentar über meinen Männergeschmack.«
»Okay. Keine Kommentare. Niemals!« Havreux hatte die Hand auf den Pfosten am Ende des Treppengeländers gelegt, schaute zu ihr auf. »Piers? Hat er irgendetwas mit Piers, Piers & Groh zu tun?«
»Sein Vater, sein Onkel und der zweite Mann seiner Tante. – Und Ihr ›Beschützerinstinkt‹ … – Schwamm drüber. Solange Sie mir versprechen, dass Sie keinen weiteren Anfall von Testosteronvergiftung in meiner Nähe erleiden werden.«
Feierlich drückte er die Rechte auf die Brust. »Ich tue mein Möglichstes.« In seinem Mundwinkel zuckte es verräterisch. Ella konnte sich das belustigte Schnauben nicht verkneifen. »Der Himmel beschütze mich vor Männern.« Theatralisch verdrehte sie die Augen. »Verraten Sie mir, was Sie mit mir vorhaben?«
»Lassen Sie sich überraschen, Dr. Thorens.«
»Kein kleiner Tipp?« Sie stieg die Stufen weiter hinauf.
Ein leises Lachen. »Also gut. – Ziehen Sie einen Bikini an.«
Abermals hielt sie inne, drehte sich zu ihm um. »Wir bleiben nicht hier?«
»Nein, wir bleiben nicht hier.« Das Lächeln, das in seinem Mundwinkel hing, pflanzte eine seltsame Hitze in ihr Inneres. Hör auf damit, Thorens! Sie räusperte sich. Sie konnte es auch jetzt gleich hinter sich bringen. »Wir müssen über etwas reden.«
»Worüber?« Er trat noch näher an die Treppe heran, hob fragend eine Braue.
»Könnten Sie mir beibringen, meine Gabe zu gebrauchen?«
Von einer Sekunde zur nächsten war sein Blick hart. An seiner Wange zuckte es.
18
Die Gasse zwischen den Lagerhäusern war leer. Trotzdem sah Kristen sich mehrmals wachsam nach allen Seiten um, bevor er den Schlüssel aus seinem Versteck hinter einem zerbrochenen Stein holte – der für jeden anderen Betrachter vollkommen intakt und unverrückbar in die Mauer eingelassen zu sein schien – und das schwere Tor aufsperrte. Ein weiterer, sichernder Blick, während er die Papiertüte vom Boden aufhob, dann schob er es gerade weit genug auf, um sich daran vorbeidrücken zu können, und schloss es direkt wieder. Nur durch die Doppelreihe Glasbausteine direkt unter der Decke fiel Licht in die kleine Halle, die er seit etlichen Jahren immer wieder unter anderen Namen gemietet hatte – obwohl das ganze Lagerhaus ihm gehörte. Einen Moment blieb er hinter der Tür stehen, damit seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnen konnten. Seine kleine Ärztin wollte jetzt also doch ihre Gabe benutzen.
Eigentlich hatte er damit rechnen müssen. Jeder, der diese Gabe in sich trug, konnte
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