Hexengold
als streifte der Schweif eines der Rösser ihren Leib. Sie schloss die Augen und betete, bis es vorüber war. Das Schlammwasser beschmutzte Schuhe und Heuke. »Elender Hurenbock!«, schimpfte ein Mann und ballte die Faust. Der Kutscher schien nichts zu hören und raste weiter.
»Höchste Zeit, dass du auftauchst«, fuhr Adelaide Mathias an, als er endlich neben ihr stand. Verärgert rieb sie den Schmutz von der Heuke. In Strähnen klebte das Haar auf der Stirn. »Fast hätte mich dieser Wagen umgefahren. Mitten auf der Straße – man stelle sich das einmal vor! Und wer war nicht da? Mein guter Sohn! Dir ist es wohl wichtiger, mit Carlotta zu turteln, als deine Mutter zu beschützen.«
»Es wäre das erste Mal, dass du dich von mir beschützen lässt«, entgegnete Mathias ruhig. Entrüstet hob Adelaide den Arm. Mitten in der Bewegung hielt sie jedoch inne und rang sich ein Lächeln ab. »Sieh dich vor, mein Lieber! Eines Tages wirst du dich danach sehnen, dass ich dich überhaupt noch darum bitte.«
Verwundert sah er sie an. Sie aber beschloss, ihn eine Weile grübeln zu lassen.
Schweigend setzten sie ihren Weg fort. Als sie den Vorplatz von Sankt Peter erreichten, ließ der Regen nach, der Himmel riss auf. Kinder patschten fröhlich durch die Pfützen, Mütter schimpften. Ein Mann steckte mit seinem Handkarren im aufgeweichten Boden fest, ein anderer kam ihm zu Hilfe. Als der Karren mit einem Ruck freikam, purzelten die neu geflochtenen Körbe in den Dreck. »Elende Hurensöhne! Zu dumm, einen einfachen Karren zu schieben?« Lauthals schimpfte die Korbflechterin über die beiden Männer. Fasziniert blieb Mathias stehen. »Glotz nicht!«, trieb Adelaide ihn an. Endlich erreichten sie den menschenleeren Friedhof und standen vor Vinzents Grab.
Die aufgeweichte Erde hatte den Grabstein einsinken lassen, auch Wind und Nässe hatten ihm arg zugesetzt. Die Inschrift war kaum mehr zu entziffern. Gedankenverloren strich Adelaide darüber, schneuzte sich schließlich verlegen ins Taschentuch. Tag für Tag ging sie zum Grab und begriff doch immer weniger, wer dort eigentlich lag. Zu Lebzeiten hatte sie einen ganz anderen Vinzent gekannt als den, der sich nun in den Schilderungen Erics und der drei Mainzer Kaufleute zeigte. Ob sie jemals herausfand, wer Vinzent wirklich gewesen war? Hastig sprach sie ein Gebet, dann wandte sie sich ihrem Sohn zu. »Wir waren uns einig, erinnerst du dich?« Aufmerksam glitt ihr Blick über das blasse Gesicht. Der erste Bartflaum spross am Kinn, ansonsten schien er noch immer der kleine, unbedarfte Junge wie ehedem zu sein. »Oder hast du vergessen, was du mir im Herbst versprochen hast?«
Verlegen senkte er den Blick, scharrte mit den Stiefelspitzen kleine Steinchen zu einem Haufen. »Was willst du von mir?« Abrupt hob er den Kopf und sah sie direkt an. »Es dauert seine Zeit, bis ich alles lerne, was im Kontor zu lernen ist. Carlotta hat es einfacher, weil sie von klein auf jeden Tag dort war und nie in die Schule musste so wie ich. Es war nicht meine Idee, dass ich in die Lateinschule gegangen bin. Du und Vater habt es so gewollt.« Eine Spur von Röte überzog seine Wangen. Die große Nase schob sich noch deutlicher heraus.
»Das meine ich doch gar nicht.« Ein Anflug von Mitleid überkam sie, als sie ihn so vor sich sah, sichtlich bemüht, es ihr recht zu machen. Zärtlich strich sie ihm über die Wange. Ihre Augen waren auf gleicher Höhe, sahen sich unverhohlen an.
»Was sonst? Ständig kommst du ins Kontor und schaust, was dort vor sich geht. Außerdem steckst du immerzu mit Tante Magdalena zusammen oder schleichst um Onkel Eric herum. Was soll ich also noch für dich tun? Alles, was passiert, weißt du doch lange vor mir.«
»Nein, nicht alles, nur das, was Onkel Eric und Tante Magdalena mir sagen wollen. Und genau das ist der Punkt.« Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und zog ihn näher zu sich. »Es geht nicht darum, was die anderen mir über den Stand der Geschäfte mitteilen wollen, sondern darum, was sie mir nicht erzählen. Vergiss nicht: Es war dein eigener Wunsch, nach Vaters Tod zu Onkel Eric ins Kontor zu gehen. Du weißt, warum das so wichtig für uns beide ist. Dort hörst du so einiges, wenn sie miteinander reden. Nicht einmal Tante Magdalena erfährt alles. Gerade wenn Imhof, Diehl oder Feuchtgruber mit Onkel Eric sprechen, solltest du die Ohren spitzen.« Eindringlich blickte sie ihn an. »Das ist wichtig für uns, glaub mir!«
Sie tätschelte ihm die
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