Hexenjagd
von ihm lösen zu können. Obwohl er doch völlig ruhig dastand, schien irgendetwas an ihm sie maßlos zu beunruhigen. Und die abwehrende Art, wie sie ihre Hände emporhielt, als wolle sie einen Schlag abwehren.
Sie fürchtete ihn, erkannte er schockiert. In der Tat sah sie ihn an, als wäre er ein Monster. „Ich glaube“, stieß er heiser hervor, „es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Vielleicht beruhigt sie sich dann. Ich warte draußen auf Sie, Doktor. Ich muss mit Ihnen sprechen!“ Das zustimmende Murmeln des Arztes im Nacken, beeilte er sich, aus dem Raum zu kommen, und atmete erst auf, als sich die Tür leise hinter ihm schloss. Gleichzeitig fühlte er Tränen aufsteigen und wischte sich ungeduldig über die Augen, während er, zutiefst aufgewühlt, ein paar Schritte weiter tappte, um am Ende beim nächstbesten Fenster stehen zu bleiben und die heiße Stirn gegen das kühle Glas zu drücken. Lange Zeit verharrte er so, ohne in der Lage zu sein, seinen inneren Aufruhr niederzukämpfen oder eine willentliche Bewegung zu machen.
„Herr Rosenbaum!“ Die eine Hand noch auf dem Türknauf, machte der Arzt mit der anderen eine auffordernde Geste. „Kommen Sie“, sagte er ernst. „Wir müssen uns unterhalten. Was halten Sie davon, wenn wir uns in meinem Büro einen Kaffee genehmigen?“
Vincent nickte nur, um sein Einverständnis deutlich zu machen.
Das angepriesene Büro erwies sich als größere Besenkammer. Dennoch war Platz genug für ein Bücherregal, einen Schreibtisch und zwei Stühle, auf denen man leidlich gut sitzen konnte.
„Also“, begann der Mediziner langsam, um sich sogleich ausgiebig zu räuspern. „Die Sache sieht wirklich ernst aus“, fuhr er schließlich fort. „Die Kleine scheint in der Tat völlig durchgeknallt zu sein. Nichts für ungut“, winkte er ab, als er den unmutigen Ausdruck auf dem Gesicht seines Besuchers registrierte. „Aber das ist nun mal mein erster Eindruck, verstehen Sie. Ich habe versucht, mit ihr zu sprechen, aber sie gibt nur einen merkwürdigen Mischmasch aus zwei Sprachen von sich. Außerdem bedient sie sich eines sehr, nun – ihre Ausdrucksweise ist, wie soll ich sagen – altertümlich? Ja, so könnte man es bezeichnen. Was macht sie eigentlich beruflich?“, fragte er interessiert.
„Frau Falquardt ist momentan Sekretärin in einer kleinen Speditionsfirma“, antwortete Vincent ernst. „Vorher war sie allerdings in einem großen Betrieb beschäftigt, der überwiegend mit Großbritannien zu tun hat.“ Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da sah er den Arzt nicken, verstand jedoch nicht, wieso.
Der Mediziner überlegte eine Weile, bevor er zu einer Erklärung ansetzte: „Sie plappert in Deutsch und Englisch, aber so durcheinander, dass man es kaum auseinander halten kann. Das Einzige, was ich verstehen konnte, war ihr Verlangen nach einem Kreuz. Fragen Sie mich nicht, was sie damit meint. Ich weiß es nicht. Aber sie forderte immer nur dieses, wobei ich allerdings den Eindruck hatte, dass es für sie von größter Bedeutung ist.“
Vincent runzelte die Stirn, konnte momentan jedoch keine Erklärung für Celiskas Wunsch finden.
„Wie lange werden Sie sie hier behalten?“, wollte er wissen.
„Nur so lange, bis sie sich körperlich erholt hat“, erwiderte der Arzt. „Was wir dann machen, kann ich jetzt noch nicht entscheiden. Wenn sich ihr geistiger Zustand in dieser Zeit nicht bessern sollte, wäre die Unterbringung auf einer psychiatrischen Station vielleicht angebracht. Aber wie gesagt“, betonte er, „es ist zu früh, darüber zu befinden.“ Mit einem Mal erinnerte er sich daran, dass er sein Gegenüber noch gar nicht nach dessen Beziehung zu seiner Patientin befragt hatte, was ein grober Fehler war – zumal er mit ihm Dinge besprach, die eigentlich unter die ärztliche Schweigepflicht fielen. Aber das konnte man ja nachholen, nicht wahr? „Wie stehen Sie eigentlich zu Frau Falquardt?“
„Sie ist die Braut meines Bruders“, antwortete Vincent, dem klar war, worauf die Frage seines Gegenübers abzielte. „Mein Bruder ist allerdings selbst so geschockt, dass er sich nicht um sie kümmern kann. Aber Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich weiß über die Schweigepflicht Bescheid. Schließlich bin ich selbst Krankenpfleger. Sie können sich darauf verlassen, dass ich die Informationen, die ich von Ihnen erhalte, vertraulich behandle.“
„Aber dann dürfte es Ihnen doch nicht schwer fallen, an sie heranzukommen“, unterstellte der Arzt
Weitere Kostenlose Bücher