Hexenjagd
er sie vorsichtig wieder von sich schob. „Wohin so eilig?“
„Vincent! Gut, dass ich dich gefunden hab. Da ist ein alter Mann, der nicht weiß, wo er hingehört. Bitte, komm doch mal schnell.“ Die Worte in atemloser Hast hervorbringend, langte Celiska nach der Hand des Pflegers und wollte ihn hinter sich herziehen. Da er sich aber nicht mitreißen lassen wollte, wandte sie sich ihm erneut zu: „Bitte, Vincent!“ Ihre Miene drückte echte Sorge aus. „Du musst ihm helfen. Er kann sich nicht erinnern. Er meinte, nur du wüsstest, was er eigentlich wollte.“ Endlich zeigte sich ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen ihres Gegenübers, was sie als Zustimmung wertete. Also drehte sie sich erneut um, seine Hand weiterhin festhaltend, und zog ihn dann unbeirrt mit sich. Im Aufenthaltsraum angekommen, wollte sie ihm den alten Mann zeigen, fand allerdings nur einen leeren Sessel in einem ebenfalls menschenleeren Zimmer vor.
„Aber ich … Er war …“ Celia verstand die Welt nicht mehr. „Er war eben noch hier. Ich schwöre! Vincent, du musst mir glauben. Ich bin doch nicht verrückt! Ich habe ihn selbst hierher gebr …“ Mitten im Wort brach sie ab, weil ihr jäh bewusst wurde, dass Vincent sie mit einem eigentümlichen Ausdruck in den Augen ansah. Er hielt sie also für genauso durchgedreht wie alle seine anderen Schützlinge, dachte sie geschockt. Er hatte bisher nicht eine Silbe von sich gegeben, weil er meinte, eine Irre vor sich zu haben, die ihn ohnehin nicht verstand. Und er war nur mitgegangen, weil er ihr ihren Willen lassen wollte, um keinen hysterischen Anfall zu provozieren. Mit einem Mal wurde ihr auch bewusst, dass sie immer noch seine warme Hand mit ihren Fingern umklammerte, und ließ ihn augenblicklich los.
„Entschuldige“, stieß sie heiser hervor, während sie einen Schritt zurücktrat. „Ich wollte dich nicht unnötig aufscheuchen. Die Sache hat sich erle …“ Wieder brach sie mitten im Wort ab. Allerdings war der Grund diesmal ein leises Rascheln hinter dem Ohrensessel, in den sie den Alten platziert hatte.
Auch ihr Begleiter schien das Geräusch vernommen zu haben, denn er ging jetzt mit einigen ruhigen Schritten hinüber und schob den Sessel zur Seite, woraufhin eine Gestalt sichtbar wurde, die hinter dem Sitzmöbel in Embryonalstellung auf dem Boden lag, als läge sie in einem Bett und wolle schlafen.
„Egbert?“ Vincent tippte dem Alten zunächst vorsichtig auf die Schulter, weil er ihn nicht erschrecken wollte. „Sie sind im falschen Zimmer.“
Der Alte schlug zunächst nur nach der störenden Hand, die ihn immer wieder an stupste. Da man ihm jedoch keine Ruhe ließ, blinzelte er ärgerlich zu der frechen Person hinauf, die ihm so vehement zusetzte.
„Wer sind Sie?“, fragte er ungehalten. „Sehen Sie denn nicht, dass ich gerade mein Mittagsschläfchen halte? Gehen Sie weg!“ Obwohl er versuchte, die aufdringlichen Hände abzuwehren, wurde er vorsichtig aufgesetzt und schließlich emporgezogen.
„Egbert“, redete Vincent dabei auf den Alten ein, „Sie sind nicht in Ihrem Zimmer. Und Sie sind auch nicht in Ihrem Bett. Kommen Sie, ich bringe Sie zurück. Diese nette junge Dame hat mich gerufen, weil sie nicht wusste, wo Sie wohnen. Aber ich weiß es. Kommen Sie mit.“ Celiska ein warmes Lächeln schenkend, packte er den Greis um die Mitte und geleitete ihn hinaus.
Celia stand wie festgewachsen auf der Stelle, bemerkte den überraschten Blick des alten Mannes, als er an ihr vorbeikam, erwiderte auch automatisch sein erfreutes Lächeln. Als er jedoch fragte, wer sie sei, fühlte sie jäh Tränen des Mitleids in ihre Augen schießen, wobei sich tief in ihrem Innern ein merkwürdiges Gemisch aus Unsicherheit und Zweifel zu regen begann.
*
Samstag.
Heute würde Verena ihre Verlobung feiern, erinnerte sich Celia, während sie zum wiederholten Male einen ungebetenen Besucher aus dem Raum wies. Und dann … Spätestens in drei Monaten würde sie Vincents Frau sein! Vincent … Sie hatte ihn während der vergangenen Tage ein paar Mal zu sehen bekommen, doch hatte er sie nicht weiter beachtet. Seine einzige Reaktion auf ihren schüchternen Gruß war ein freundliches Kopfnicken gewesen. Kein Wort. Kein Lächeln. Nichts weiter – so als sei sie gar nicht da!
Endlich wurde es Abend.
Celia konnte es kaum erwarten, dass die Türen verschlossen wurden, weil sie dann endlich zur Ruhe kommen konnte. Sie wusste genau, nach zweiundzwanzig Uhr war allgemeine Bettruhe
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