Hexenjagd
darum musst doch nicht du dich kümmern“, tadelte er sie milde. „Dafür ist doch der Diener da.“ Während er redete, langte er nach ihrem Arm und zog sie sogleich mit sich zum Speisesaal, wo er die Mutter samt ihren Gesellschafterinnen wusste. „Ich glaube, ich muss mal mit Mama sprechen. Sie kann dich doch nicht behandeln wie eine Dienstmagd. Schließlich bist du kein gewöhnliches Bauernmädchen, sondern eine junge Dame aus sehr gutem Hause.“
„Bitte!“ Die Wangen mit einem Mal hochrot, befreite sich das Mädchen vorsichtig aus dem Griff. „Es war kein Befehl der Herrin“, erklärte es gleich darauf ungewohnt schüchtern. „Ich wollte nur ein Wort mit der Köchin wechseln, mehr nicht. Ich kenne die Frau schon sehr lange und wollte sie fragen, ob sie nicht einen Kuchen … Ich …“ Von Natur aus eher auf Ehrlichkeit bedacht, schämte sich Celia aus tiefster Seele, denn es war allzu offenkundig, dass man ihre Schwindelei durchschaute. Unfähig, dem durchdringenden Blick ihres Gegenübers standzuhalten, senkte sie den Kopf und schluckte hart, innerlich jederzeit darauf gefasst, dass man sie umgehend zur Rechenschaft ziehen würde.
„Was wolltest du wirklich dort?“
Die Frage kam nicht unerwartet. Dennoch tat sie sich schwer, eine glaubwürdige Antwort zu finden. Am Ende beschloss sie, bei der Wahrheit zu bleiben, um sich weitere Peinlichkeiten zu ersparen.
„Ich …“ Sie musste erneut schlucken, um weitersprechen zu können. „Es … Manchmal hole ich ein paar Sachen heraus“, gestand sie. „Im Dorf gibt es eine Familie, die verhungert. Und die Kinder … Ich wollte ihnen Gutes tun.“
„Du stiehlst also Sachen, um sie dann ins Dorf zu bringen?“, fragte er ungläubig. „Das ist ja … Mon dieu! Bist du noch bei Sinnen? Weißt du denn nicht, welche Strafe dich erwartet, wenn man dich erwischt?“ Er packte mit einer Hand ihre Schulter und schüttelte sie verärgert.
„Bitte!“ Sein Griff war so schmerzhaft, dass es ihr die Tränen in die Augen trieb. „Ich habe nicht gestohlen! Ich habe doch nur Reste genommen, die ohnehin in den Schweinetrog gekommen wären. Ist es denn nicht gleich, wer sie bekommt? Die Schweine kriegen doch mehr als genug. Aber die Leute sind am Verhungern!“
„Nein“, fuhr er sie wütend an. „Es ist keineswegs gleich! Wenn die Leute etwas zu essen haben wollen, sollen sie dafür arbeiten.“
„Aber das tun sie doch!“ Jetzt weinte sie laut. „Trotzdem müssen sie Hunger leiden, weil fast alles in der Speisekammer des Herrenhauses verschwindet. Ihr reitet doch jeden Tag durchs Dorf. Seht Ihr denn nicht, was wirklich vorgeht?“
„Das interessiert mich alles nicht“, wies er sie grob zurecht. „Sollen sie doch mehr anbauen. Dann bleibt auch genug für sie übrig. Außerdem ist mir das alles viel zu dumm“, schimpfte er. „Ich streite mich doch nicht mit einem kleinen Mädchen über Dinge, die es gar nicht begreifen kann! Kümmere dich lieber um deine Stickereien und deine Gebete.“ Er ließ ihre Schulter los und trat einen Schritt zurück. „Diesmal lasse ich es noch durchgehen“, stieß er barsch hervor. „Aber lass dich nicht noch mal erwischen!“
Celia wandte sich augenblicklich ab und rannte davon. So schnell sie konnte, erklomm sie schluchzend die steile Treppe zu ihrer Kammer, warf völlig außer Atem die schwere Tür hinter sich zu und lehnte sich dann gegen das dicke Holz. Aus dem anfänglichen Schrecken wurde nun allmählich Ärger. Dieser geschniegelte eitle Pfau, grollte sie. Natürlich interessierte es ihn nicht, ob die Leute genug zu essen hatten, solange sein Magen gut gefüllt wurde! Er musste ja nicht auf den saftigen Braten verzichten, der ihm täglich serviert wurde. Ohne jemals einen Finger krumm gemacht zu haben, genoss er alle Annehmlichkeiten des Lebens, die man sich nur wünschen konnte, nur weil er durch Zufall in ein blaublütiges Haus hineingeboren worden war. Mit welchem Recht trampelte er auf anderen Menschen herum, fragte sie sich erbittert.
In ihrem Zorn begann sie ziellos im Raum umherzulaufen, wobei ihr das Klopfen an ihrer Kammertür zunächst entging. Erst als es immer heftiger wurde, blieb sie wie angewurzelt stehen. Mit tränenblinden Augen auf die dicken Bohlen der Tür starrend, die angesichts der gewaltigen Schläge förmlich zu zittern schienen, fühlte sie wiederum Schrecken in ihrem Herzen, denn sie meinte nun, man habe es sich anders überlegt und wolle sie jetzt doch für ihr Verbrechen
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