Hexenkuss
Schwester verzog das Gesicht, schlang Amanda einen Arm um die Taille und half ihr, ins Haus zu humpeln. Holly sprang gerade aus dem Kombi und eilte herein, als Amanda sich dankbar aufs Sofa sinken ließ.
Amanda nahm ein paar Taschentücher aus der Schachtel, die Nicole ihr hinhielt, und zuckte zusammen, als sie an einem guten Dutzend blutender Kratzer an ihren Knöcheln und Schienbeinen herumtupfte. »Sie haben nur meine Beine erwischt, aber ich glaube, die hatten es ernsthaft auf mich abgesehen. Wenn sie mich zu Fall gebracht und meine Augen erreicht hätten, wär's das gewesen.«
»Mistviecher«, schimpfte Nicole. »Wir sollten dich zum Arzt bringen. Du brauchst mindestens eine Tetanus-Spritze.«
»Später«, erwiderte Amanda. »Im Augenblick ist Michael unsere größte Sorge. Offensichtlich fängt er wieder an, uns anzugreifen.«
Nicole holte tief Luft. »Okay«, sagte sie zu ihrer Schwester und ihrer Cousine. »Ich bin dabei.«
»Verdammt, hört der Mann denn nie auf?«
Holly erwartete gar keine Antwort auf ihre zornige Frage, und sie bekam auch keine - dazu waren alle drei gerade viel zu beschäftigt. Ihr Plan war ihnen so harmlos und einfach erschienen: Sie würden im Schutz der frühen Abenddämmerung zu Tommy fahren und ihn abholen, weil er sich bei Amanda beklagt hatte, er höre schon den ganzen Tag seltsame Geräusche ums Haus herum. Dann würden sie ihn nach Hause mitnehmen, wo sie sich alle gemeinsam schützen konnten. Zusammenzubleiben würde die Gefahr minimieren und ihre Macht konzentrieren - falls sie einen Zauber brauchen sollten, wäre er wesentlich wirkungsvoller, wenn sie ihn alle zusammen sprachen. Ein großartiger, ein prachtvoller Plan, der sprichwörtlich zum Teufel ging, als sie bei Tommy ankamen und feststellten, dass das gesamte Dach mit sich windenden schwarzen Schatten bedeckt war.
»Was ist das?«, flüsterte Holly.
»Okay, einem Buch zufolge, das ich gerade gelesen habe, nennen manche Leute sie Seelensauger«, antwortete Nicole leise. »Ganz üble schwarze Magie - drei von diesen Dingern können einen Menschen binnen weniger Minuten töten, und da oben müssen Dutzende herumkriechen. Ich verstehe nur nicht, warum Deveraux sie Tommy auf den Hals hetzen sollte.«
»Ich schon«, sagte Amanda. Ihre Stimme klang kalt, und sie strich sich mit beiden Händen das Haar aus dem Gesicht. »Er setzt auf den guten alten Domino-Effekt - wenn Tommy etwas passiert, würde mich das bis ins Herz treffen, und das wiederum würde uns drei schwächen.«
»Stimmt.« Holly starrte zum Dach empor und beobachtete die schwarzen Schemen, die übereinander hinwegglitten, sich hier und da über den Rand des Daches nach unten schoben und vorsichtig ein Fenster berührten, ehe sie sich zurückzogen. Es war beinahe, als kosteten sie das Glas, um zu schmecken, ob es hinter diesem schwächlichen Schutz noch etwas Besseres geben könnte. Dieses Etwas war Tommy, und beim Gedanken daran wurde Holly schlecht. Sie traute sich kaum, die nächste Frage zu stellen. »Warum kriechen sie nicht... einfach rein? Winden sich durch irgendwelche Spalten oder so?«
»Das können sie nicht«, erklärte Nicole. »Anscheinend werden diese Wesen zu einem bestimmten Zweck und für eine bestimmte Person heraufbeschworen. Aber für sie ist so eine ähnliche Geschichte bekannt wie in der Vampirlegende - sie können nicht ohne Einladung eindringen. Sie können sich allerdings auf dem Rücken eines anderen Geschöpfes hinein tragen lassen. Sie schnappen sich das erste bewegliche Objekt, das in ihre Reichweite gerät. Tommy hat Glück, dass er noch keinen Besuch bekommen hat, seit die Dinger sich hier materialisiert haben. Ach ja, und sie können auch angreifen, wenn ihr Zielobjekt von drinnen nach draußen geht.« Holly sah, wie die Augen ihrer Cousine bei diesen Worten schmal wurden. »Im Moment sitzt er in der Falle.«
»Verdammt«, brummte Amanda, ohne den Blick von der Fassade des alten viktorianischen Hauses abzuwenden.
Nicole kaute nachdenklich auf einer Fingerspitze herum. »Wir müssen sie weglocken«, sagte sie schließlich. »Aber wir müssen verhindern, dass sie sich an uns festsetzen - sonst lassen sie sich einfach von uns mit herumtragen, bis sie mit Tommy in Kontakt kommen. Du wirst sie nur dann endgültig wieder los, wenn du stirbst - oder vielmehr, wenn Tommy stirbt.«
Amanda war mit einem näherliegenden Problem beschäftigt. »Womit sollen wir sie denn weglocken?«, fragte sie.
Auf Nicoles hübschem Gesicht
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