Hexenseelen - Roman
feucht und schlaff an, als würde sie einen toten Frosch küssen. Und wenn sie die Augen öffnete, sah auch der Prinz neben ihr eher so aus, als hätte sie ihn in einem Discounter aufgegabelt. Dann strömte Energie in sie hinein, Energie von toten Menschen. Wärme durchdrang ihren Körper, prickelte unter ihrer Haut und schärfte ihre Sinne. Gleichzeitig glaubte Ylva, die Toten zu schmecken, sie wie eine Auster zu schlürfen. Sie zuckte zurück, doch Roland packte ihren Kopf am Haar und ließ sie nicht los, bis sie zu würgen begann.
Als er sie endlich freigab, krabbelte Ylva die Stufen hoch bis zum Treppenabsatz und keuchte. Auf der Zunge schmeckte sie einen schimmeligen Belag, oder es kam ihr nur so vor und erweckte in ihr dennoch den Wunsch, sich den Mund auszuwaschen.
Tote Menschen … Du hast die Lebenskraft toter Menschen getrunken … Wie tief kannst du noch sinken?
Ylva sprang auf die Beine, rieb sich mit dem Ärmel
immer wieder über die Lippen und stürmte in die Wohnung. Sie hatte nicht einmal das Bad erreicht, als sie in die Knie ging und das Gefühl hatte, sich gleich übergeben zu müssen. Ihr Magen zog sich zusammen, doch sie konnte nicht erbrechen. So kauerte sie auf dem Boden und japste, geplagt von ihrem Gewissen und ihren Zweifeln.
Roland kam ihr hinterher, blieb auf der Schwelle stehen und sah zu ihr hinunter. »Mit der Zeit wird es leichter«, sagte er und dachte wohl, er könne damit ihre Qualen lindern.
Doch Ylva gruselte es, wenn sie sich vorstellte, wie sie ohne jeglichen Skrupel die Energie anderer Menschen an sich reißen würde. Wenn auch bloß durch einen Mittelsmann.
Es vergingen einige Tage. Die Folter wiederholte sich jeden Abend, wobei Ylva die Abscheu in sich kultivierte, um nicht zu vergessen, was sie da tat. Doch Roland behielt Recht. Mit jedem Mal fiel es ihr ein wenig leichter, sich darauf einzulassen. Und mit jedem Mal hasste sie sich ein wenig mehr dafür.
Nach dem Gespräch mit ihm auf der Treppe versuchte Ylva mehrmals, genug Mut zu sammeln, um mit Conrad zu reden. Obwohl sie nicht genau wusste, was sie ihm hätte sagen sollen. Doch entweder erwischte sie ihn nicht allein - meist lauerte ihnen Linnea in der Nähe auf -, oder ihr Tatendrang verpuffte, sobald sie es in Erwägung zog, auch nur einen Ton hervorzubringen.
Das Schaudern, das sie in seiner Nähe stets befiel, fühlte sich plötzlich ganz anders an, nachdem sie zugegeben hatte, etwas für ihn zu empfinden. Es bescherte ihr weiche Knie und heiße Wangen, als würde ihr das ganze Blut bei seinem Anblick sofort ins Gesicht schießen. Wenn er nur ein Wort an sie richtete, schnürte sich ihr die Kehle zu, und sie antwortete erst, wenn er schon längst gegangen war.
Ein paarmal besuchte Alba sie und versicherte ihr, sie würde alles tun, um mehr Informationen über das Hexenkind zu bekommen. Die junge Frau durchsuchte das Haus ihres Großvaters nach Hinweisen, bis jetzt ohne Erfolg. Diese Beschäftigung schien Alba allerdings aufzubauen. Sie wirkte nicht mehr so entkräftet. Micaela dagegen zeigte sich nicht.
In Roland sah Ylva inzwischen einen guten Freund, der nie müde wurde, sich von ihr die Ohren volljammern zu lassen. Denn jedes Gespräch, das sie anfing, endete irgendwann mit dem Thema Conrad. Abend für Abend spornte Roland sie an, endlich in den Blumenladen zu gehen und seinem Besitzer alles zu sagen, was ihr auf dem Herzen lag. Tatsächlich schaffte es Ylva jedes Mal bis zur Tür, drückte ihre Nase gegen die Scheibe und beobachtete Conrad, wie er im Schaukelstuhl saß und ein Buch las. Doch es gelang ihr nicht, die unsichtbare Grenze, die sie von ihm trennte, zu überschreiten.
Bis zu dem Abend, als Roland sie an den Schultern packte, in den Laden stieß und sich in Windeseile aus dem Staub machte.
Das Glöckchen über ihrem Kopf schrillte, sie stolperte einige Schritte weiter und verharrte, als Conrad von seinem Buch aufblickte, sich erhob und sie ansah. Ohne Verwunderung und ohne Verdruss, als würde jeder Zweite seinen Laden mit der Eleganz einer Kuh auf Rollschuhen betreten. Er sagte nichts - anscheinend hatte er es aufgegeben, mit ihr irgendeine Art von Konversation anzufangen -, und auch Ylva brachte durch ihre verengte Kehle kein Wort hervor. Sie wäre davongestürmt, hätte er sie nicht auf so eindringliche Weise angeschaut, die die Angst in ihr schürte und sie zugleich an Ort und Stelle fesselte.
Verdammt, sieh endlich wieder in dein Buch! Lass mich zufrieden! , pochte es mit dem Blut
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