Hexenstunde
geworfen.
Zahllose nüchterne viktorianische Möbelstücke, die seit dem Verlust von Riverbend eingelagert gewesen waren, wurden jetzt hervorgeholt, um die Räume zu füllen. An den Fenstern zur Chestnut Street wurden Läden verriegelt und nie wieder geöffnet.
Aber diese Veränderungen hatten wenig zu tun mit dem Ende der Goldenen Zwanziger Jahre, mit dem Börsenkrach oder mit der Weltwirtschaftskrise.
Der Familienkonzern Mayfair und Mayfair hatte sein enormes Kapital längst aus der Eisenbahn und aus dem gefährlich aufgeblähten Aktienmarkt herausgezogen. Schon 1924 hatte er seinen gewaltigen Grundbesitz in Florida mit veritablem Profit veräußert. Nur den kalifornischen Grundbesitz hatte man gehalten, denn dort stand der Landboom noch bevor. Mit ihren Millioneninvestitionen in Gold, Schweizer Franken, südafrikanischen Diamantenminen und zahllosen anderen profitablen Unternehmungen war die Familie wieder einmal in der Lage, Freunden und entfernten Verwandten, die ihre ganze Habe verloren hatten, Geld zu leihen.
Und in der Tat verlieh die Familie Geld nach links und nach rechts, sie pumpte neues Blut in den unkalkulierbar großen Verband ihrer politischen und gesellschaftlichen Beziehungen und schützte sich vor äußeren Einmischungen jeglicher Art, wie sie es immer getan hatte.
Lionel Mayfair wurde niemals von einem einzigen Polizisten danach gefragt, weshalb er Stella erschossen habe. Zwei Stunden nach ihrem Tod war er als Patient in ein Privatsanatorium eingewiesen worden, wo er in den folgenden Tagen die Ärzte mit seinem endlosen Gerede über den Teufel langweilte, darüber, daß er durch die Korridore des Hauses in der First Street schleiche und zu der kleinen Antha ins Bett schlüpfe.
»Da war er, bei Antha, und ich wußte es. Es passierte alles wieder von vorn. Und Mutter war nicht da, wissen Sie; niemand war da. Bloß Carlotta, die ewig mit Stella Streit hatte. Oh, Sie können es sich nicht vorstellen, dieses Türenknallen und dieses Gebrüll. Wir waren ein Haushalt von Kindern ohne Mutter. Meine große Schwester Belle hielt ihre Puppe umklammert und weinte dauernd. Und Millie Dear, die arme Millie Dear, saß kopfschüttelnd im Dunkeln auf der Seitenveranda und betete ihren Rosenkranz. Und Carlotta bemühte sich, Mutters Platz einzunehmen, und konnte es nicht. Sie ist ein Zinnsoldat, verglichen mit Mutter! Stella warf Sachen nach ihr und wurde hysterisch. ›Du glaubst, du kannst mich einschließend
Kinder waren wir, ich sag’s Ihnen: Kinder. Da klopfte ich bei ihr an die Tür, und Pierce war bei ihr! Ich wußte es, und das alles am hellichten Tag. Sie belog mich, und er war bei Antha; ich habe ihn gesehen. Die ganze Zeit habe ich ihn gesehen! Ich habe sie zusammen im Garten gesehen. Aber sie wußte es, sie wußte die ganze Zeit, daß er bei Antha war. Sie ließ es zu.
›Willst du zulassen, daß er sie bekommt?‹ fragte Carlotta immer. Aber wie, zum Teufel, sollte ich es verhindern? Sie konnte es auch nicht verhindern. Antha saß draußen unter den Bäumen und sang mit ihm, sie warf Blumen in die Luft, und er ließ sie schweben. Ich hab’s gesehen! Ich hab’s so oft gesehen! Ich hörte sie dann lachen. So lachte Stella auch immer! Und was hat Mutter je getan, um Gottes willen? O Gott, Sie verstehen ja nicht. Ein Haushalt voller Kinder. Und warum waren wir Kinder? Weil wir nicht wußten, wie man böse ist. Wußte Mutter es? Wußte Julien es?
Wissen Sie, warum Belle schwachsinnig ist? Inzucht! Und Millie Dear ist auch nicht besser! Guter Gott, wissen Sie denn nicht, daß Millie Dear Juliens Tochter ist? O ja, das ist sie. Gott ist mein Zeuge, jawohl, das ist sie. Und sie sieht ihn und lügt dann und streitet es ab! Ich weiß aber, daß sie ihn sieht.
›Laß sie in Ruhe‹, sagt Stella dann zu mir. ›Es macht doch nichts.‹ Ich weiß, daß Millie ihn sehen kann. Ich weiß es. Sie haben zusammen Champagnerkisten für die Party getragen. Kisten über Kisten, und Stella tanzte oben zu ihren Phonographenplatten. ›Versuche dich auf der Party anständig zu benehmen, ja, Lionel?‹ Um des lieben Himmels willen. Wußte denn niemand, was los war?
Und Carl redete dauernd davon, Stella nach Europa zu schicken! Als ob irgend jemand Stella irgend wohin hätte schicken können! Und was hätte es schon ausgemacht, wenn Stella in Europa gewesen wäre? Ich habe versucht, es Pierce zu sagen. Ich habe den Jungen bei der Kehle gepackt und gesagt: ›Du wirst mir jetzt zuhören!‹ Ich hätte ihn auch
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